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Genuss und Übermaß

Elektrischer Alltag im Opel Ampera

Fahrberichte Florian Pillau
Opel Ampera Fahrbericht

(Bild: Pillau)

Eindrücke aus dem elektrischen Alltag mit einem Opel Ampera. Bei der recht großen Batterie bewährte sich gegen Reichweitenangst eine präventive Kombinationstherapie aus Schnarch- und Schnelladen. Abgesehen von seinem E-Antrieb ist der Opel ein Pkw mit ganz üblichen Stärken und Schwächen

Dieser Erfahrungsbericht besteht aus drei Teilen.

Teil 1: Start Praxistest: Opel Ampera-e [1]

Teil 3: Der Glöckner aus Rüsselsheim [2]

Dünner, elastischer, halbtransparenter Stoff, aufgespannt an einer in vier Schlaufen gebundenen Schnur. Filigran, leicht, elegant. Die Gepäckraumabdeckung ist wohl das einzige Architekturdetail am ganzen Ampera, das der E-Mobilität angemessen futuristisch und leicht gestaltet entgegenkommt. Der ganze Rest des Autos ist konventioneller Fahrzeugbau mit Stahl, Kunststoff und Glas.

Um eine Batterie herum hat GM eine konventionelle Karosserie errichtet. Der Ampera ist ein Elektroauto, das nicht danach aussieht. Das sind zwar Teslas [3] auch nicht, aber ich hätte mir einen den Fahreindrücken angemessenen Futurismus gewünscht – und weniger Gewicht. Andererseits ist das viel verlangt bei einer Technik, die noch so teuer ist, dass sich exotische Materialien noch lange nicht bezahlt machen. Der BMW i3 (Test) [4] ist so ein Auto. Leicht, avantgardistisch, aber trotz des hohen Preises sicher nicht der Margenbringer im Modellprogramm. Sein Design darf man als „kontrovers“ bezeichnen, oder jedenfalls als nicht halb so anschlussfähig wie der laue Kompromiss des Ampera. Der offensichtliche Pragmatismus des Opels dürfte der Hoffnung auf ein marktgängiges und ertragfähiges Produkt entsprungen sein.

Genuss im Übermaß

Fahren im Ampera ist dank 300 Nm ein Erlebnis – trotz der 1700 Kilogramm Leergewicht. Immer beschleunige ich erst zu stark, dann zu hoch und befahl mir daher bald, die Tachoanzeige besser im Auge zu behalten. Verständlich, denn der gewohnte Maßstab aus Motorgeräusch und Schaltvorgängen fehlt und das geräuschlose Wegziehen ist ein Genuss. Sogar zum Rasen verleitet mich der Ampera: Mehr als einmal habe ich ungläubig enttäuscht auf den Tacho geblickt, wenn ich wieder mal im Begrenzer landete, obwohl ich sonst eigentlich nie 150 km/h fahre. Jedes thermodynamisch angetriebene Auto wirkt im Antriebskomfort vergleichsweise kompliziert oder unvollkommen, oft beides. Wobei ich persönlich weiterhin größeren Spaß an gestrigen Konzepten [5] habe als an (fast) allem Aktuellen.

Wenn so hohes Drehmoment über die gelenkten Räder wirkt, leidet das Handling, die Seitenführung und fallweise auch die Traktion. Opel ist ein ziemlich brauchbarer Kompromiss gelungen. Die Lenkung ist feinfühlig und direkt genug, das Drehmoment ist zwar manchmal im Lenkrad spürbar, aber selten störend und die Schlupfregelung scheint gut abgestimmt. Wobei das bei einem Elektroauto ja auch etwas einfacher sein sollte als bei einem mit Fossilantrieb.

Richtige Achse?

Grundsätzlich stellt sich an dieser Stelle die Frage, ob überhaupt die richtige Achse angetrieben wird. Die Antwort dürfte der Pragmatismus geben, mit dem das Auto entwickelt wurde. Dazu dürfte nicht nur die Anweisung: „baut möglichst viel Teile aus der Großserie ein“ gehört haben sondern möglicherweise auch: „lasst den Kofferraum erst mal so, wie der Kunde ihn erwartet“. Beides ist gelungen. Trotzdem bietet gerade ein Elektroauto mit seinem Instant-Drehmoment mehr Fahrfreude mit getrennter Antriebsachse.

Leider erfüllt vieles nicht ganz die Erwartung, die ein mindestens 42.000 Euro teures Auto weckt. Auf Material, Verarbeitung und die Bose-Anlage will ich nicht eingehen, das können meine Kollegen viel besser. Aber warum fehlt dem Wagen ein Navigationssystem, ein Abstandsregeltempomat, ein ganzes Pfund Bedien-Ergonomie und eine moderne Grafik? Das alles kann nicht so teuer sein, dass man es hätte wegsparen müssen. Und – gut, in einem E-Auto fällt das natürlich eher auf – ein leiseres Gebläse. Doch auch so etwas kann man heute schon in Großserie bauen.

Ergonomie-Vergehen

Anderes fällt erst später auf, wie etwa die nicht vorhandene Höhenverstellung für die Gurtumlenkpunkte. Dass BMW die auch schon seit mindestens zehn Jahren weglässt, sollte kein Entschuldigungsgrund sein. Oder die Rückenlehne, in der sich nach 7000 Kilometern etwas so anfühlt, als sei sie schon durchgesessen. Oder eine Sitzfläche, die sich nicht in der Neigung einstellen lässt. Viel, viel schlimmer: Ich fuhr ganze 56 Kilometer Autobahn mit meiner Jacke auf dem Armaturenbrett, um die Blendung durch die schräg von rechts hinten einstrahlende Sonne zu verhindern. Dabei war nicht so sehr der heute offenbar leider unvermeidliche zentrale Riesenbildschirm das Hauptproblem, sondern darüber liegende Metallspangen und Klavierlackimitat-Flächen.

Darüber kann ich nur ernsthaft verärgert staunen. Ihr könnt mir nicht erklären, dass Ihr solche Ergonomie-Vergehen einbaut, weil der Kunde das so will. Mit großem Bedauern denke ich zurück an die Armaturenbretter der 60er/70er/80er-Jahre, an denen mit großem Aufwand jede erdenkliche Art von Blendung angegangen wurde. Erinnern Sie sich noch an die kegelförmigen Instrumentengläser eines Golf I oder an die tiefen Tuben der Fords oder – noch früher – an den Schrumpflack in teuren Sportwagencockpits? Heute wird so viel von „Sicherheit“ geredet und dabei solche grundlegenden Erkenntnisse sträflich missachtet.

Dafür ist immerhin die Karosserie wenigstens vorn mit weit nach unten reichenden Fensterflächen angenehm übersichtlich. Auch die Raumaufteilung geht in Ordnung trotz des hoch liegenden Innenbodens, unter dem ja die Batterie untergebracht werden musste. Einzig auf den hinteren Seitenplätzen ist es wegen des seitlich eingezogenen Dachs außen recht eng im Kopfbereich.

Schnarch- und Schnelladen

Wie meine Kollegen Schwarzer [6] und Lorenz [7] bereits empfinde ich die große Batteriekapazität als ungemein entspannend. In unserem normalen Nutzungsverhalten ist eine Kombination aus nächtlichem Schnarch- und wöchentlichem Schnellladen eine Strategie, die sich quasi automatisch einstellt. Das nächtliche Laden ersetzt rund die Hälfte des Tagesbedarfs, das wöchentliche Schnelladen kompensiert die Abnahme der Kapazität über die Woche.

Autos mit derart großen Batterien dürften daher die Zukunft sein und in zwei Jahren könnten wir schon darüber lachen, dass wir heute „derart große“ geschrieben haben. Volkswagen wird demnächst massenweise 100-kWh-Autos bauen [8]. Übermäßig sind die 60 kWh jedenfalls nicht. Reichweitenangst kam dennoch einmal auf: Bei Sturzregen auf der Autobahn spätabends unterwegs mit vier weiblichen Familienangehörigen schnellte die Reichweitenanzeige in einem Augenblick plötzlich um zehn Kilometer nach unten. Zehn Kilometer später immerhin hat das Elektronenhirn diesen offensichtlichen Fehler ebenso schnell wieder korrigiert.

Dreifache Umleitung

Mein Problem als Etagen-Bewohner ist vor allem das Schnarchladen in diesem Szenario. Um Strom aus dem Keller zum Tiefgaragenplatz zu legen, musste ich alle im Haushalt verfügbaren Kabel zusammenstöpseln plus die Kabeltrommel des Nachbarn, der so etwas als Handwerker einfach mal im Keller stehen hat. Im Viertel haben die Stadtwerke zwei zu Fuß bequem erreichbare Ladesäulen errichtet. Damit bekommt man den Ampera über Nacht voll. Die Bezahlmöglichkeit per App weckte Hoffnungen, doch scheiterte sie bei mir an der doppelten Umleitung Stadtwerke.de – Ladenetz.de – PayPal.com. Zuerst hieß es, der Verbindung werde nicht getraut. Danach konnte PayPal die Zahlfunktion nicht freigeben. Aufgabe nach dem sechsten Versuch. Die Lösung war eine Ladekarte, mit der die Stadtwerke ihren Strom für 38 ct/kWh verkaufen. Später fand ich eine Säule fürs Schnelladen, an der der Strom (noch) nichts kostet. Von dort dauert der Fußweg nach Hause bereits eine Viertelstunde – gerade noch akzeptabel, wie ich finde.

Gewohnt vorsichtig

Noch immer habe ich mich nicht ganz ans E-Auto gewöhnt: Beim Einbiegen in die Hauptstraße beschleunige ich immer noch so vorsichtig, wie ich es von einem Verbrennungsantrieb gewohnt bin. Schließlich tritt man einen Motor ja nicht, bevor er ganz durchgewärmt ist. Aber ich würde mich auf jeden Fall ans beherzt elektrische Davonziehen gewöhnen können. Sogar mit dem gescholtenen Ampera.

Übrigens: Wem das filigrane Segel über dem Gepäckraum zu viel Zukunft zumutet, findet im Zubehörprogramm von Opel die gewohnte Hartschalenabdeckung. Zu viel Spott über das Gestrige im Avantgarde-Autokäufer sollten wir uns darüber nicht leisten: Foristen berichten glaubhaft, dass die Hartschale Fahrgeräusche wirksam dämpft. Die Radkästen sind nicht eben perfekt gedämmt und so ist das Hartschalenteil vielleicht weniger traditionalitisch als man zunächst denkt. Es ist in seinem Fall einfach ein sinnvolles Zubehör für einen Elektroauto-Genießer.


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Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/autos/artikel/Start-Praxistest-Opel-Ampera-e-4419602.html
[2] https://www.heise.de/autos/artikel/Alltag-im-Opel-Ampera-e-Der-Gloeckner-aus-Ruesselsheim-4437239.html
[3] https://www.heise.de/autos/thema/tesla#liste
[4] https://www.heise.de/autos/artikel/Unterwegs-im-BMW-i3S-3969018.html
[5] https://www.heise.de/autos/artikel/Fahrspass-statt-Autoverkehr-4398542.html
[6] https://www.heise.de/autos/artikel/Test-Unterwegs-im-Opel-Ampera-e-4036765.html
[7] https://www.heise.de/autos/artikel/Start-Praxistest-Opel-Ampera-e-4419602.html
[8] https://www.heise.de/autos/artikel/Neue-Batterien-in-Entwicklung-4316157.html