Fahrbericht Citroën Cactus C4

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Mit der zweiten Auflage des C4 Cactus hatte Citroën die Chance, per Alleinstellung wieder näher zu klassischen Markenkernwerten zu kommen – und die Gelegenheit, einige Ungereimtheiten bei der Nutzbarkeit abzustellen. Hätte gehabt, denn die Hausaufgaben wurden zwar mit großer Bravour erledigt, aber nur zur Hälfte, wie eine zehntägige Probefahrt zeigte.

Über die Franzosen und ihre Autos gibt es bei uns ein paar Klischees, etwa den vollkommen achtlosen Umgang mit dem Material. Wegen des Grusels, den diese Verachtung beim blechfetischisierenden Deutschen auslöst, gehört es zu den haltbareren. Gespeist werden solche Vorurteile vor allem von Stereotypen aus dem hochverdichteten Lebensgefühl längst gelaufener Filme. Etwa die existenzialistisch angehauchte Coolness, als die Filme noch schwarzweiß und mit Jazz unterlegt waren, später die immer leicht angesoffen-ungepflegt-wurschtig wirkende (post-)68er Lässigkeit. Man lässt sich jedenfalls mit oder ohne dunkler Brille, aber mit dunkler Filterloser schräg ins Polster hinab, hängt den Unterarm über die linke Brüstung und lenkt wie nebenher einhändig über Boulevard und Avenue – Wichtigeres im Kopf als Fahren.

Schon damals Lifestyle

Welche Art der Entkopplung auf geistiger Ebene auch immer dargestellt wird, bestens passt dazu die Federung der damaligen Citroëns, begonnen mit der des 2CV, weiterentwickelt im Ami 6 und gekrönt ab 1954 von der Hydropneumatik, die erstmals Federung, Dämpfung, Niveauregulierung und selektive Bremskraftsteuerung zusammenfasste. Diesem System gelang bereits damals, den bekannten Zielkonflikt zwischen Fahrkomfort respektive Fahrsicherheit und Agilität weitgehend auflösen. Dem Klischee-Franzosen schien es zwar eher egal, die Autos aber wurden schon damals Lifestyle.

Obwohl die Hydropneumatik immer perfekter wurde, spielte sie eine immer geringere Rolle – nicht zuletzt angesichts immer besserer Straßen. Am Ende schwer unterschätzt stellte man sie mit dem Citroen C5 vor eineinhalb Jahren außer Dienst – zu teuer wurde Citroën offenbar der Aufwand. Allerdings muss sich die Marke nun neu erfinden, nachdem von PSA zuletzt DS ausgegründet worden war. Eine Rückbesinnung auf die große Tugend des Fahrkomforts (wie auch cooler Interieurs) war da keine Überraschung.

Einiges wirkt aufgesetzt

Beides finden wir im neu aufgelegten C4 Cactus. Vieles davon wirkt aufgesetzt, der Fahrkomfort ist es nicht. Eine sichere Alleinstellung hat der Wagen im Konzept – weder Crossover noch Limousine und auch kein Kompakter im gewohnten Sinne. Die Luftpolsterfolie, mit der Citroën ihn in erster Auflage beklebte, wurde kleiner, die Eleganz größer. Dazu gönnte man sich sogar neue Karosserieblechpressen – wegen der Kosten selten bei einer Modellüberarbeitung, wobei der Hersteller tatsächlich von einem neuen Modell spricht.

Den hohen Fahrkomfort verdankt der mit etwas über einer Tonne vergleichsweise leichte Wagen lediglich einer Verbesserung der Stoßdämpfer, es bleibt ansonsten bei einer herkömmlichen Stahlfederung. Citroën entwickelte die Dämpfer mit seinem japanischen Zulieferer Kayaba (KYB), immerhin dem weltweit größten Hersteller von Hydraulikdämpfern für Kfz-Fahrwerke. Das Prinzip bleibt: Ein Kolben wird durch die Fahrwerksbewegungen durch einen ölgefüllten Zylinder geschoben, definierte Bohrungen und Ventile erlauben den nötigen Volumenausgleich. Der dabei durch die Viskosität entstehende beidseitige Bremseffekt verhindert das saugefährliche elastische Einschwingen von Rad und Aufhängung und damit den Abflug aus Kurven oder exzessive Bremswege. Nicht ohne Grund lautet die korrekte Bezeichnung daher „Schwingungsdämpfer”.

Bisher war die Charakteristik der Dämpfung üblicherweise quasi linear über den gesamten Federweg verteilt, im Sinne des Komforts mit einer geringen Dämpfung fürs Einfedern und einer stärkeren beim Ausfedern. Die neuen Bauteile arbeiten zwar auch mit verschieden gewichteter Zug- und Druckstufe, dämpfen dabei allerdings in der Mitte am geringsten und erhöhen den Widerstand an den beiden Enden des Federwegs. Das hemmt dort die Bewegung so weit, dass man auf die üblichen elastischen Endanschläge verzichten kann. Es gibt also keinen Übergang von „komfortabel“ gering gedämpft zu „unkomfortabel“ bei der plötzlichen Bremsung am Anschlag mehr.

Widerstandsbewegung

Die zunehmende Dämpfung an den Enden ist nicht völlig neu, wurde aber noch nie so konsequent umgesetzt. Das Ergebnis dieser erstaunlich einfachen und dadurch in der Produktion preiswerten Maßnahme ist verblüffend: Man erlebt von den meisten Straßen nur mehr die Hüllkurve über die Amplituden aller kleineren Anregungen – es ist fast der Schwebeeffekt der Hydropneumatik.

Kritischen Fahrern mag vor allem etwas mehr Bewegung über die Fahrzeuglängsachse auffallen. Das ist kein Unvermögen der Konstrukteure sondern geht auf eine Eigenschaft der preisgünstig zu bauenden Torsionslenker-Hinterachse zurück. Zudem folgt die Auslegung der Stabilisatoren dem Modediktat, dass sich ein Auto in der Kurve möglichst wenig neigen soll. Der Tadel an der Neigung ist nachzulesen in vielen Fahr- und Testberichten der vergangenen Jahrzehnte. Die Kollegen, die brave Stadtautos zum harmlosen Rumkullern oder zum Reisen über Landstraßen so beurteilen, haben möglicherweise noch das letzte Fahrerlebnis mit einem Porsche RS in den Knochen – jedenfalls gelingt ihnen häufig nicht, den richtigen Maßstab an einen Testwagen anzulegen. Das war aber schon zu den Frühzeiten des Citroën 2CV so, einem Auto ganz ohne Stabilisatoren, einer unglaublich schluckfreudigen Federung und einer dennoch hoch präzisen, direkten und gefühlvollen Lenkung.

Im Stil der Sprungfeder-Fauteuils

Einen gewissen Anteil am erfolgreich verbesserten Fahrgefühl des C4 Cactus durch die serienmäßige „Advanced Comfort Federung“ haben die in den Ausstattungsvarianten „Feel“ und „Shine“ optionalen „Advanced Comfort Sitze“ für 490 Euro. Sie imitieren verblüffend perfekt die Sprungfeder-Fauteuils der 50er- bis 80er-Jahre und ein bisschen sogar die Hängemattensitze der 2CVs. Leider sind ihre Sitzflächen ganz wie damals etwas zu stark geneigt und nicht einstellbar. Die Automatikversionen bekommen nun keine durchgehende vordere Sitzbank mehr, die aber eher charmant aussah als Nutzwert zu bieten. Wir fanden die weichen Sitzpolster superkomfortabel fürs Semmelnholen, aber ermüdend auf Langstrecken.

Was gut war und auch so bleibt ist eine angenehm direkt übersetzte, wenngleich rückmeldungsarme Lenkung. Eine Bank ist der drehmomentelastische Motor ohne störendes Turboloch– typisch Dreizylinder eben. Seine 205 Nm Drehmoment versammelt er bereits ab 1500 Touren. Zu Recht bekam der Motor gerade eben (6. Juni 2018) zum vierten Mal in Folge die Auszeichnung „Engine of the Year“ verliehen. Sollte der Motor einen Partikelfilter benötigen (wahrscheinlich, da Direkteinspritzung), kommt der aber erst mit der Abgasnorm Euro 6c ab 1. September 2018, ein Termin, den man vielleicht besser noch abwarten sollte.

Engine of the Year - mal wieder

Das Automatikgetriebe im Testwagen hätte noch etwas weicher schalten können, wählt aber fast immer die zur Situation passende Drehzahl. Im Sportmodus müht es sich immerhin redlich, echte Dynamik ist dem Wandler-Schaltwerk aber nicht gegeben. Dabei wird der gesamte Antrieb selten mal störend hörbar, hier hat man gegenüber dem Vorgänger seriös nachgebessert. Charakterlich harmoniert das alles bestens mit dem Fortschritt beim Fahrwerk. Sechseinhalb statt der versprochenen knapp über fünf Liter Verbrauch entsprechen dem klassenüblichen Tarif plus Aufschlag, wobei uns die Differenz zum gleichen Motor mit manueller Schaltung etwas unzeitgemäß erscheint.

Das gereicht für sich genommen bis hierher ziemlich perfekt zum sympathischen Klischee und hat somit das Potenzial für das geschätzte Citroën-Image von früher. Bis hierher. Denn leider hat man nach der Entwicklungsglanzleistung am Fahrwerk offenbar die Lust verloren, sich auch der übrigen Themen anzunehmen, die ein Auto eben auch noch ausmachen.

Fahrsicherheit fordern und fördern

So bleibt es bei der fahrsicherheitsgefährdenden Heizungsbedienung nur über den zentralen 7-Zoll-Monitor. Was nutzt ein Telefonverbot am Steuer, wenn ich Grundfunktionen der Fahrzeugbedienung nur über einen Touchscreen erreiche? In solchen Autos komme ich zum Schluss, dass eigentlich auch Berührungsbildschirme während der Fahrt für den Chauffeur gesperrt sein müssten. Doch auch hier traut sich die Politik offenbar nicht an die Autoindustrie. Es bleibt beim Proforma-Standard-Appell nach dem Einschalten, über den man wie über jede salvatorische Klausel hinwegliest.

Der aktiven Sicherheit förderlicher sind da die Assistenzfunktionen, allerdings sind sie klassenüblich etwas einfacher gestrickt. Bei Totwinkel- und Spurhalteassistent spart sich PSA den technisch möglichen Lenkeingriff, beim Tempomaten eine Abstandsregelfunktion. Zudem erhältlich sind Funktionen wie ein Notbremsassistent (bis 85 km/h), Schildererkennung, wahlweise mit Einfluss auf den Tempomaten, Müdigkeits- und Aufmerksamkeitserkennung und automatisches Längs- und Querparken.

Es zwickt an einigen Ecken

Beim ersten stilechten Reinfläzen (auf- oder abgesperrt scheint damals niemand zu haben - heute bietet der Cactus einen schlüssellosen Zugang) freut man sich über das lichtdurchflutete Interieur, beginnt aber nach einiger Fahrt in bestem Wetter vergeblich nach einem Sonnenschutz zu suchen. Eine infarotabweisende Beschichtung des großen Glasdachs (für nur 490 Euro) soll eine Jalousie überflüssig machen, „Blendung“ war aber offenbar kein Thema. Zudem lässt es sich nicht öffnen und beginnt erst über der Stirn der vorn Sitzenden. In das Bild passt, dass die hinteren Türen nur Ausstellfenster bieten – als sei der Cactus eine frugale Sparbüchse wie der Citroën C1.

Dazu kommt, dass hinten das Dach zu niedrig oder die Sitzbank zu hoch ist, jedenfalls streift die Frisur normal gebauter Menschen dort die inneren Dachkanten. Dass die Beinfreiheit nur bis „mittelgroß“ reicht, ist konzeptbedingt – der Citroën ist mit 4,17 Metern etwas länger als ein VW Polo. Die hinteren Sitzlehnen sind nun zwar getrennt umlegbar, allerdings erzeugt man damit immer noch eine störende Stufe. Ein größerer Nachteil am 348 bis 358 (VW Polo 251 bis 351 Liter) fassenden Kofferraum ist die hohe Ladekante. Immerhin liegt unter dem Ladeboden ein vollwertiges Reserverad, wenn auch in der Dimension des Vorgängermodells von 185/60R15 – da scheinen noch ein paar übrig gewesen zu sein. Diese Ausstattung gilt überraschenderweise aber nur für den gefahrenen PureTech 110 S&S EAT6 – alle anderen Versionen sind serienmäßig mit einem Reparaturset bestückt und werden nur wahlweise mit Reserverad geliefert – bis auf den Diesel, der bekommt ein Notrad.

Die Kosten für Kraftstoff und Überführung hat der Verlag übernommen.