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Aston Romeo: 50 Jahre Alfa Montreal

Christian Lorenz
Alfa Montreal

Die Studie kam 1967 so gut an, dass 1970 das Serienmodell des Alfa Montreal folgte.

(Bild: Matthias v.d. Elbe - Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org)

Eine Studie für die Weltausstellung in Montreal 1967 wurde mit einem domestizierten Renn-V8 und einem Giulia-Chassis im Jahr 1970 als Alfa Montreal zur GT-Ikone

Eine namenlose Schönheit verdrehte auf der Weltausstellung 1967 im kanadischen Montreal dem autoaffinen Publikum den Kopf. Die Ausstellung "Man, the producer" sollte die technische Schaffenskraft der Menschheit feiern. Dafür wurde Alfa Romeo angefragt, ein Exponat zu schicken, das den Automobilbau der Zukunft darstellen sollte. Der Mailänder Hersteller entschied sich, eine zweisitzige Sportcoupéstudie zu zeigen. Da jedes Alfa-Coupé aus dieser Zeit von der Turiner Firma Bertone gezeichnet wurde, war das bei dem "Projekt Montreal" wie der Auftrag der Einfachheit halber genannt wurde, nicht anders.

Bertone-Chefdesigner Marcello Gandini hatte soeben mit dem Lamborghini Miura den ersten Supersportwagen geprägt und wenige Jahre später mit dem betörenden Stratos, den wohl kompromisslosesten Rallyekeil auf die Schotterpiste gestellt. Gandini war geistig wohl noch ganz im Miura und überzeugt davon, dass die Zukunft des Sportwagens im Mittelmotor liege.

Deshalb versah er die Karosserie der Coupéstudie mit Mittelmotorornat in Form von Schmuckkiemen an der B-Säule. Obwohl Alfa Romeo keinen Zweifel daran gelassen hatte, dass die Gandini-Karosserie aus Zeitmangel der Einfachheit halber über die Technik der Bertone-Kreation Giulia GT (Serie 105) gestülpt werden sollte. Gandinis junger Mitarbeiter Giugiaro hatte die Karosserie für das kleine Coupé so stimmig entworfen, dass er bis heute bei den Fans als Bertones Meisterstück für Alfa-Romeo gilt, der "Alfa Bertone" eben.

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Zwei weiße Coupés mit exaltierten Details wie mit Ziergittern halb verdeckten Scheinwerfern wurden in Kanada präsentiert. Sie kamen so gut an, dass man sich für eine Serienfertigung entschied. Der "Montreal" sollte das neue Topmodell von Alfa werden. Das mit Abstand stärkste und exklusivste Motorenwerk von Orazio Satta Puliga war der Hochleistungs-V8 des Rennsportwagens Tipo 33. Im Expo-Jahr 1967 wurde gerade die geringfügig gezähmte Homologationsserie Tipo 33 Stradale mit Straßenzulassung an mutige Großverdiener verteilt.

Es wurde beschlossen, diesen V8 in den Montreal zu verpflanzen und für einen Straßensportwagen bekömmlich abzumildern. Der Hubraum wurde von zwei auf 2,6 Liter angehoben, zur Gemischaufbereitung eine exotische Einspritzanlage von SPICA (Società Pompe Iniezione Cassani & Affini) installiert und die Leistung auf 200 PS abgemildert. Der T33 Stradale war bereits auf 230 PS gedrosselt worden. Während im Renntrimm bis zu 270 PS aus den zwei Litern geholt wurden. Die vergleichsweise kultivierten 200 PS des Montreal wurden über ein neues Fünfganggetriebe an die Hinterachse geleitet, das bei ZF in Auftrag gegeben wurde.

Anders als das nur Profis zumutbare Sechsgang-Renngetriebe empfahl sich die ZF-Box durch leichte, exakte Schaltbarkeit und sportlich kurze Wege im Alltagsgebrauch. Der hochkarätige Antrieb macht einen großen Teil der Faszination des Montreal aus. Die SPICA-Einspritzung ist dafür ebenso Voraussetzung wie Hindernis. Denn nur, wenn sie perfekt eingestellt ist, kann der V8 seinen faszinierenden Charakter zur Geltung bringen. Experten mit dem dazu notwendigen Know-how und insbesondere Spezialwerkzeug sind heutzutage schon sehr selten.

Beim Starten muss man erst einmal dem hellen Summen der beiden Benzinpumpen lauschen. Erst wenn es ein Lämpchen im Cockpit signalisiert, steht genügend Benzindruck bereit. Man dreht den kleinen Zündschlüssel bis zum Anschlag – und ist entweder betört oder enttäuscht. Wer amerikanischen V8-Sound liebt, wird sich verarscht vorkommen und erst mal gar nichts hören. Der Montreal ist so kultiviert, dass man seine Rennsportprovenienz gar nicht glauben möchte. Nur ein leises katzenartiges Fauchen lässt er vernehmen. Freunde des Understatements bringt das an den Rand der Selbstbeherrschung.

Selten wurde leiser, feiner, unterschwelliger und stilvoller "leg dich ja nicht mit mir an!" intoniert. Dass das Auto auch wirklich richtig böse werden kann, liegt an der kurzen Getriebeübersetzung. Die höchstmöglichen 220 km/h sollte man weder dem Montreal zumuten, da sie erst kurz vor Höchstdrehzahl erreicht werden, noch seinen Ohren. Obwohl das Mahlen, Bohren und Trompeten zu dem sich der V8 jetzt aufschwingt und das an einen gedämpften Ferrari 308 erinnert, jetzt wohl auch jedem Freund von US-V8-Fahrzeugen Anerkennung abnötigen würde.

Auf Dauer bewahrt einen schon die Sitzposition davor, zu lange hohe Geschwindigkeitsbereiche und damit einhergehende Lautstärken aufzusuchen, denn die ist unbequem genug. Wer die Alfa-typische Froschhaltung mit langen Armen und angewinkelten Beinen aus dem Bertone (Giulia GT) kennt, kann im Montreal merken, dass es auch ein wenig schlimmer geht. Denn der Montreal hat eine noch tiefere Sitzposition und das schöne Holzlenkrad ist hier zu groß und noch flacher angewinkelt.

Leider sitzt auch das Auto selbst nicht ideal auf der Straße. Denn der hochkarätige Antrieb wurde einfach auf das Chassis der Giulia gesetzt. Das Serienmodell ging hier aus Kosten- und Zeitgründen nicht über die Kanadastudien hinaus. Deshalb gehört der Montreal nur längsdynamisch zu den Schnellen. Um Kurven muss er wie ein widerspenstiges Schiff mittels einer gefühllosen Kugelumlauflenkung gehievt werden. Er quittiert es mit starker Karosserieneigung und stampfender Hinterachse. Was bei Giulia und ihrem Bertone-Coupé mit maximal 130 PS starkem Vierzylinder noch kongenial austariert wirkt, ist mit dem großen V8-Luxusliner einfach überfordert.

Rein optisch hat der Serien-Montreal trotz nahezu identischer Anmutung offenbar seine Proportionen eingebüßt. Vielen ist das Serienmodell zu kurz und zu breit, der Radstand zu kurz. Eine klassische Schönheit ist er nicht mehr. Auch die Details wie die Gitterteilabdeckungen der Frontscheinwerfer, die anders als bei der Studie beim Lichteinschalten druckluftgesteuert nach unten wegklappen, polarisieren. Das Kombinstrument mit Runduhren die fast wie Matrjoschka-Puppen in zwei große Runduhren integriert sind, löst bei vielen Erstbetrachtern gar fassungsloses Kopfschütteln aus. Die schlechte Sitzposition und die mangelnde Fahrdynamik verdichten das dann schnell zu einem vernichtenden Urteil.

So urteilte Auto Motor und Sport bei ihrem ersten Test 1970 der Montreal sei "wohl das älteste neue Auto", das jemals vorgestellt worden sei. Das kommt einem Todesurteil gleich für ein Fahrzeug, das mit knapp 35.000 Mark in Deutschland deutlich teurer war als ein Porsche Carrera RS 2.7 (34.000 Mark) oder ein BMW 3.0 CSI (31.000 Mark). Doch es lohnt sich, sich auf den Montreal einzulassen. Dann fasziniert er jeden Tag mehr. Seine Form besteht aus vielen faszinierenden Details, die man auch nach Jahren nicht müde wird zu betrachten. Er ist vielleicht kein Eyecatcher, aber man kann sich nicht an ihm sattsehen.

Auch seine Attitüde muss man verstehen. Der Montreal ist ein klassischer Granturismo blauen Blutes, der manische Kurvenhatz indigniert den Neureichen überlässt. Und auf einmal wird aus dem missglückten Sportwagen ein unwahrscheinlich lässiges Coupé. Der Montreal ist von seiner ganzen Anmutung her der beste Aston Martin, der jemals aus Italien kam.

Diese Mischung aus Granturismo, Ästhetik und Spleen gepaart mit Schwächen wie einem schwerfälligen Kurvenverhalten bieten in dieser emotionalen Güte nur noch ein DBS V8 oder sein eigentlich nur facegelifteter Nachfolger V8 Saloon. Wer dagegen einen Alfa Granturismo sucht, der der Perfektion ungleich näher kommt, wird beim GTV6 aus den Jahren 1980 bis 1987 fündig. Vor allem Fahrwerk und Querdynamik spielen beim Alfetta-Sproß mit Transaxle-Bauweise in einer gänzlich anderen, höheren Liga.

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Der Arese-V6 gilt völlig zu Recht bis heute als einer der besten und bestimmt emotionalsten Sechszylinder überhaupt. Mit 158 PS, Bosch-L-Jetronic, begeisternder Kraftentfaltung und wunderschönem Klang macht er einem den Verzicht auf 42 PS und zwei Zylinder unglaublich leicht. Nur das Getriebe des Montreal und seine angenehm trockene Exaktheit vermisst man ständig, wenn man im schlecht geführten Transaxlesalat des Alfetta-Keils rühren muss.

Man glaubt sofort, dass der ursprünglich geplante GTV8 mit dem Montreal-Motor an der Achillesferse dieses Getriebes scheiterte. Sein Drehmoment hätte es schlicht bald zerspant. Doch nicht nur dadurch ist die Faszination des Montreal und seine Alleinstellung erklärlich. Der Montreal wurde bis 1977 nur 3925 mal produziert. Rostvorsorge, Materialauswahl und Verarbeitung spielen im Vergleich zur viel geschmähten Alfetta auf einem ganz anderen Stern.

Die vermeintlichen Schwächen im Fahrverhalten schließlich können sich zu einem stimmigen Ganzen formen, wenn man sich auf den Montreal einlässt und ihn artgerecht bewegt. Dem einen mag das verborgen bleiben, der andere wird schon nach den ersten Metern schockverliebt sein. Der Montreal hat nämlich eine Unmenge an Charakter, der sich nur Gleichgesinnten erschließt.

Schlimm ist nur, dass etwa 100.000 Euro für einen gut erhaltenen Montreal eingesetzt werden müssen. So wird er auch für viele, die in verstehen und lieben, nur das bleiben, was er für die Allermeisten ohnehin ist: Ein Traumwagen, den wir der Weltausstellung 1967 in Montreal, Kanada, verdanken.

(chlo [5])


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