Filesharing als moralisches Problem

Ende Juni entschied der Oberste Gerichtshof der USA, dass die Anbieter von Filesharing-Diensten geradezustehen haben, was Nutzer mit ihrer Software treiben.

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Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Renay San Miguel

Ende Juni entschied der Oberste Gerichtshof der USA, dass die Anbieter von Filesharing-Diensten dafür geradezustehen haben, was Benutzer mit ihrer Software treiben. Mich selbst stört das ehrlich gesagt wenig: Ich habe meinen Computer noch nie zum Stehlen von Musik benutzt.

Das Thema Filesharing beschäftigt mich als Reporter seit den frühen Tagen Napsters. Ich konnte viele wichtige Akteure interviewen. Ich sprach mit Technologieexperten, die mir dann erzählten, welchen finanziellen, ethischen und sozialen Einfluss der neue Dateitausch-Trend habe. Ich persönlich habe den Inhalt meiner Festplatte aber noch nie für andere Benutzer freigegeben oder selbst Inhalte von anderen Rechnern geladen.

Der Grund für meine Filesharing-Abstinenz lag nicht etwa in meiner Furcht vor eventuellen Schlagzeilen a la "Technologiejournalist ist Dateitauschverbrecher". Ich stehle aus dem selben Grund keine Musik, aus dem ich als kleiner Junge keine Comics aus dem Supermarkt um die Ecke geklaut habe. Das Verfahren MGM gegen Grokster ist eigentlich unwichtig -- es geht hier meiner Meinung nach um etwas ganz anderes: Was richtig ist und was falsch. Ich bin Journalist, ich mache Ideen und Worte zu Geld. Dementsprechend entwickele ich für andere kreative Menschen wie Musiker durchaus ein Mitgefühl -- sie haben ein Recht darauf, für ihre Arbeit bezahlt zu werden.

Trotzdem glaube ich nicht daran, dass die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes die vielen Filesharing-Heiden christianisieren wird. Sechs Jahre ist es her, seit Napster auf der Bildfläche erschien. In dieser Zeit haben Computerbenutzer ihre eigene Ethik in Sachen Musiktausch entwickelt. Außerdem wird kostenlose, einfach zu benutzende Software dem Gesetz immer einige Schritte voraus sein.

Trotzdem musste ich ein wenig lachen, als ich eine Anzeige des legalen Musikanbieters RealNetworks lass, der sich nach der Gerichtsentscheidung in ganzseitigen Anzeigen über Konkurrenten wie Grokster lustig machte. So bewarb die Firma in der New York Times seinen Online-Musikladen Rhapsody mit dem Slogan "Mit uns haben sie keinen Ärger und landen auch nicht vor Gericht". Die Anzeige zierte ein großer Richterhammer. Rhapsody lizenziert seine Musik vom amerikanischen Musikindustrieverband RIAA -- verklagt werden die Benutzer also wohl kaum.

In seiner 55 Seiten langen Entscheidung kritisierte der Oberste Gerichthof das neben Grokster mitangeklagte Unternehmen StreamCast Networks (Morpheus) wegen seiner Werbung mit dem Ur-Filesharing-Dienst Napster. Eine Morpheus-Anzeige forderte frustrierte Napster-Nutzer dazu auf, zu Morpheus zu wechseln, weil es ja nichts koste und Napster womöglich von den Gerichten abgeschaltet würde.

Wenige Wochen vor der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes moderierte ich eine einstündige Sendung auf CNN-Radio, bei der es um den Kampf um das Filesharing ging. In der einen Ecke saßen die Inhalteanbieter: RIAA-Präsident Cary Sherman, Dan Glickman vom Verband der US-Filmindustrie MPAA, der Country-Star und Grammy-Gewinner Clint Black sowie Marilyn Bergman, Präsidentin der amerikanischen Vereinigung der Komponisten, Autoren und Verleger, die bereits einen Oskar für ihre Musik gewann.

In der anderen Ecke saß die Pro-Dateitausch-Lobby: Cyberlaw-Experte und Autor Lawrence Lessig ("Free Culture"), Rapper und Produzent Chuck D (Public Enemy), Adam Eisgrau von der Lobby-Gruppe P2P United, die StreamCast und Grokster vertritt, sowie Wanye Rosso, der frühere CEO von Grokster.

Lessig, der gerne argumentiert, dass die existierende Urheberrechtsgesetzgebung für die Buchdruckmaschinen des 18. Jahrhunderts gedacht war und nichts mit dem Download-Phänomen des 21. Jahrhunderts zu tun hat, wies auf eine merkwürdige Unstimmigkeit im Verhalten des Weißen Hauses im Verfahren gegen Grokster hin: Wie kommt es, dass eine republikanische Regierung plötzlich einen Sieg gegen die Deregulierung feiert, in dem sie sich hinter die Musikproduzenten stellt? "Das ist doch ein urrepublikanisches Argument", sagte Lessig. "Wenn man einen Bereich zu stark reguliert, werden auch Innovationen und Investitionen behindert."

Sherman von der RIAA wollte sich das nicht sagen lassen: Er argumentierte, dass auch die Musikindustrie sehr für Innovationen sei. Musiker Black unterstützte Sherman, in dem er darauf hinwies, dass die Beschäftigten der Musikindustrie ihre Jobs verlieren könnten, wenn sich der legale Musikverkauf aufgrund illegaler Downloads reduziere. Glickman von der US-Filmindustrie wollte hingegen versuchen, die Fehler der Musikindustrie nicht zu wiederholen, die den Download-Markt lange verschlief.

Eine Woche vor meiner CNN-Radio-Sendung ließ das FBI mit Hilfe der MPAA eine Website namens "Elite Torrents" schließen, über die man Zugriff auf geklaute Filme bekommen konnte. Glickman sagte mir, dass auch die Filmindustrie nun damit beginnen wolle, einzelne Dateitauscher zu verklagen, ähnliche wie das die RIAA schon lange tut. Ich fragte ihn, wie er denn gegen die ständig neu aufkommenden Piraterie-Websites vorgehen wolle, die sich nichts aus dem Ende eines einzelnen Angebotes machten. "Wir haben keine Wahl. Wir müssen mit Hilfe der Regierung so stark wie möglich gegen diese Leute vorgehen. Nur so senden wir das Signal, dass es sich bei solchen Angeboten um illegale Aktivitäten handelt, die nicht toleriert werden und bestraft werden."

Ich bin mir nicht sicher, ob das funktionieren wird. Ich will natürlich auch, dass Künstler für ihre Arbeit bezahlt werden. Trotzdem glaube ich nicht daran, dass die Filmindustrie jene Frau schnappen wird, die kürzlich neben mir im Flugzeug saß und während der Reise eine geklaute Kopie eines Hollywood-Streifens auf ihrem Laptop betrachtete.

Statt ganz leise nach der Stewardess zu rufen und ihr mitzuteilen, dass neben mir eine Kulturterroristin sitzt, machte ich mich meine Hausaufgaben für die Radiosendung: Ich lass Lawrence Lessigs Buch "Free Culture" weiter. (wst)