Grüne Retorte

Die Eco-City in Tianjin, ungefähr halb so groß wie Manhattan, ist einer der ersten Versuche Chinas im Bereich nachhaltiger Stadtentwicklung.

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Von
  • Yiting Sun

Die Eco-City in Tianjin, ungefähr halb so groß wie Manhattan, ist einer der ersten Versuche Chinas im Bereich nachhaltiger Stadtentwicklung.

Wer über die von Platanen beschatteten Bürgersteige schlendert, könnte die Tianjin Eco-City für nur ein weiteres der vielen Wohngebiete halten, die überall in China aus dem Boden sprießen. Bei näherer Betrachtung aber zeigt sich, dass hier etwas anders ist. Die Mülleimer am Straßenrand sind mit Photovoltaik-Modulen ausgestattet, sodass sie nachts leuchten; kostenlose Elektrobusse verbinden die Bezirke; und die Entwässerungsschächte für Regenwasser sind in die Bordsteinkanten integriert. Hinzu kommen weniger offensichtliche Merkmale.

Regen und Abwasser werden getrennt gesammelt. Der Bürgersteig ist mit wasserdurchlässigem Sandstein gepflastert. 18 versenkbare Axialpumpen leiten Regenwasser mit einer Kapazität von 42 Kubikmetern pro Sekunde in künstliche Sumpfgebiete.

Das Stück Urbanität, ungefähr halb so groß wie Manhattan, ist einer der ersten Versuche Chinas im Bereich nachhaltiger Stadtentwicklung. Betrieben wird das Projekt gemeinsam mit Singapur. Es befindet sich an der östlichen Grenze von Tianjin, einer Industriestadt mit fast 15 Millionen Einwohnern. Die Gesamtkosten werden nicht genannt, doch laut Projekt-Offiziellen wurden bis 2012 rund 40 Milliarden Yuan (etwa 5,4 Milliarden Euro) in feste Anlagen investiert.

Die Eco-City soll zwei der drängendsten Probleme des Landes lösen helfen: die rasche Bevölkerungswanderung, die zu einer Überlastung der Städte führt, und Umweltverschmutzung. In China gibt es 171 Städte mit mehr als einer Million Einwohnern, und bis 2030 sollen in den Städten insgesamt rund eine Milliarde Menschen leben – etwa 70 Prozent der Gesamtbevölkerung. Chinesische Städte können das Leben schwer machen: Der Smog von Peking hat es schon zu internationaler Berühmtheit gebracht. Und das Grundwasser war laut dem chinesischen Umweltministerium im Jahr 2012 in 57 Prozent von 198 getesteten Städten entweder "schlecht" oder "extrem schlecht".

Auch die Geschichte der Eco-City erzählt von diesem Problem: Früher befand sich auf dem Gebiet ein Schmutzwasserbecken mit einer Fläche von einer Quadratmeile. Weil es nach Jahren schwerer Verunreinigung durch die Industrie Quecksilber und DDT enthielt, hatte es seine ökologischen Funktionen komplett verloren. Die Sanierung kostete eine Milliarde Yuan (135 Millionen Euro).

"Was früher salz- und alkalihaltiges Brachland war, ist zu einer aufstrebenden grünen Stadt geworden", sagt Ho Tong Yen, CEO der Sino-Singapore Tianjin Eco-City Investment and Development Company. Die Regierung lobt das Projekt als Erfolg, aber bislang leben erst 20000 Menschen dort – ein Bruchteil der 350000 Einwohner, die bis 2020 vorgesehen sind.

Die 38 Jahre alte Fan Hongqin hat sich vor einem Jahr vor allem vom Bildungsangebot in die Eco-City locken lassen. Ihre Tochter geht in die zweite Klasse einer Schule mit dem Schwerpunkt Fremdsprachen. Die Stadt unterstützt den Schulbesuch mit kostenlosen Schulbussen und zahlt Eltern von Kindergartenkindern, die ein Apartment besitzen, Subventionen von 1000 Yuan (rund 135 Euro) pro Monat.

"Die Umgebung hier ist angenehmer, das stimmt", sagt Fan. Allerdings sei sie auch ungünstig gelegen: Sogar um Kleidung zu kaufen müsse sie in andere Bereiche von Tianjin fahren. Bis zum Stadtzentrum braucht sie ungefähr eine Stunde. Noch muss sich also zeigen, ob die grüne City auch lebendig wird. (bsc)