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"Ice of Chernobyl": Doku zeigt das verstrahlte Gebiet vor dem Ukraine-Krieg

Markus Vögele

(Bild: Ice of Chernobyl)

Im Interview spricht der Filmproduzent Alexander MacG über seine Dokumentation "Ice of Chernobyl" und erklärt, was der Ukraine-Krieg mit seinem Film zu tun hat.

In dem Dokumentarfilm "Ice of Chernobyl" geht es um Stalker, die illegal das Sperrgebiet des havarierten Kernkraftwerks in Tschernobyl erkunden. Erst gab es den Film bei Amazon Prime, jetzt kostenlos bei Youtube. Im Interview erzählt der Produzent Alexander MacG, was es mit dem Wechsel auf sich hat, wie der Film entstanden ist und was die Protagonisten und die Regisseurin jetzt im Krieg machen.

Herr MacG, als Ihre Dokumentation 2019 im Kasten war und die Kinos 2020 pandemiebedingt schließen mussten, entschieden Sie sich, "Ice of Chernobyl" zum Kauf bei Amazon Prime anzubieten. Nun läuft die Doku auf YouTube – kostenlos. Was hat es damit auf sich?

Amazon Prime Video kam nicht aus dem Knick. Dort lief "Ice of Chernobyl [1]" ja lange, wurde aber nicht so richtig supportet. Zudem ist es eine grottenschlechte Bezahlung, die man bei Amazon bekommt. Amazon und Netflix geben einem relativ wenig Geld im Vergleich dazu, dass man eigentlich alles an Rechten abgibt. Mit YouTube haben wir einen weltweiten Vertriebskanal, bis auf China und Nordkorea und inzwischen auch Russland.

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Deswegen wird das auch ein Zukunftsmodell für mich sein, mit dem ich schöne Dokus drehe, eventuell auch unter der Beteiligung von Sponsoren oder Product-Placement-Partnern, die ich bei YouTube auch sehr viel besser verlinken kann. Und ich werde den PayPal-Spendenbutton aktivieren. Das Geld fließt dann in neue Produktionen, um Menschen weiter Arbeit zu geben. Und das gewährleisten weder die TV-Sender noch die Streaming-Plattformen mit den geringen Summen, die sie für Dokus ausgeben.

"Ice of Chernobyl" zeigt eine Gruppe junger Ukrainer, die 5 Tage und Nächte illegal das Sperrgebiet des havarierten Kernkraftwerks in Tschernobyl erkunden und Stalker genannt werden. Wie kamen Sie zu diesem Film?

Das war eigentlich Zufall. 2018 schrieb mich jemand auf Facebook an und meinte, die Filmemacherin Maryna Dymshyts hätte mit zwei drei Typen einen Film gedreht und die würden jetzt ihre Idee klauen. Ich habe mich mit ihr dann in Verbindung gesetzt und sie gefragt, ob sie Hilfe braucht. Sie dachte, es sei alles verloren. Dann habe ich eine Medienanwältin eingeschaltet. In einem knappen Jahr haben wir die ganzen Rechte und das ganze Material zurückgeholt. Die Regisseurin habe ich dann gebeten, dass sie eine neue Version schneiden soll und wir haben besprochen, was man anders machen müsste. Und so kam dann irgendwann der Film dabei raus.

Wurden Sie für die illegale Aktion belangt?

Die Strafe erfolgt immer, wenn sie dich vor Ort erwischen. Die haben einmal unser Team erwischt. Da muss man schauen, dass man immer die volle Kameraspeicherkarte gut versteckt und eine leere Karte drin hat, denn die wird einem abgenommen und dann gibt’s eine Strafgebühr. Für Ukrainer sind das 20 US-Dollar, als Ausländer zahlt man dann inzwischen hundert.

Am 26. April 1986 kam es im Atomkraftwerk in Tschernobyl infolge eines missglückten Sicherheitstests zu einer Kernschmelze und zur bisher größten Nuklearkatastrophe. Besteht nach 35 Jahren noch immer ein gesundheitliches Risiko beim Betreten der Sperrzone?

Bestimmte Orte, Plätze oder Sachen, die benutzt wurden, sind extrem verstrahlt [3]. Die ganzen Uniformen und Gasmasken von den Feuerwehrleuten, die ja direkt am Reaktor waren, als der kollabierte, liegen im Keller des Krankenhauses von Prypjat. Man sollte es tunlichst lassen da rumzuturnen. Das wissen aber die Stalker unter sich eigentlich ganz gut.

Ice of Chernobyl (0 Bilder) [4]

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Waren Sie selbst vor Ort?

Ich habe nur die Produktion gemacht, ich war nicht vor Ort. Ich wollte irgendwie immer dorthin, aber da hat mir letztes Jahr COVID einen Strich durch die Rechnung gemacht. Was ich von den Stalkern immer wieder an Informationen und Materialien und Handyvideos kriege, ist schon sehr spannend. Und es werden ja irre viel Touristen dorthin gekarrt. Das ist ja ein Megabusiness. Das darf man ja nicht außer Acht lassen.

Das ist ja die Stadt Prypjat. Die Faszination, dass eine fast 40.000 fassende Stadt seit 35 Jahren unbewohnt ist. Und das Interessante dabei ist ja, dass es nicht eine Stadt ist, die geräumt wurde, sondern man hat den Bewohnern gesagt, dass sie in zwei oder drei Wochen wieder zurückkommen können. Das ist nur eine Vorsichtsmaßnahme, das heißt die haben ihr Köfferchen gepackt und haben ihr gesamtes Leben dort zurückgelassen. Da hing die Wäsche teilweise noch auf der Leine. Das ist, glaube ich, auch das Dystopische daran, dass da eine Stadt ist, die keine Einwohner mehr hat.

Wie haben Sie damals die Nachricht vom Reaktorunglück aufgefasst?

Ich war in Hamburg. Wir wussten das von Tschernobyl erst ein paar Tage später. Es kam dann die Meldung, dass in Schweden erhöhte radioaktive Werte gemessen wurden. Und dann sickerte das so langsam durch. Das war eine immense Verunsicherung. Wie ist das jetzt mit rausgehen und auf die Spielplätze? Und wir waren ja schon draußen. Das war schon sehr spooky und ein sehr ungutes Gefühl, weil du es ja nicht riechen, schmecken kannst.

Sie reichten "Ice of Chernobyl" bei der Oscar-Academy ein. Was wurde daraus?

Wir haben nach deren Standards die Einreichkriterien für die Oscars erfüllt. Am Ende entschied die Academy, dass wir circa einen Monat zu früh auf dem Streamingdienst gewesen wären. Zum Schluss sind wir dann doch nicht auf der Liste der ausgewählten Filme gelandet. Ich glaube, das Thema war nicht das, was die Amis bei den Oscars haben laufen lassen wollen.

Maryna Dymshyts, die bei "Ice of Chernobyl" Regie geführt hat, und einige im Film zu sehende Stalker leisten zurzeit auch in Tschernobyl erbitterten Widerstand gegen die russische Armee. Konnte Ihre Filmcrew überhaupt an der neuen Fassung, die demnächst auf YouTube zu sehen sein wird, mitwirken?

Maryna hat angefangen, daran zu arbeiten, aber es hat sich herausgestellt, dass es ein bisschen zu viel ist. Vor allen Dingen, weil sie permanent die Orte wechselt und mit an der Verteidigung von Kiew beteiligt ist, die ganzen Jungs mit Sachen auszustatten und Koordination zu machen. Und das alles bei permanenten Bombenangriffen. Sie hätte das ganz gerne eingesprochen, aber das geht momentan alles nicht. Ich habe ihr gesagt, sie solle sich um sich kümmern und um ihre Sicherheit. [seufzt] Da treffe ich auf taube Ohren, da ist sie viel zu patriotisch.

Was macht das eigentlich mit Ihnen?

Es besteht die große Wahrscheinlichkeit sie nicht mehr lebend wiederzusehen. Wenn ich nur daran denke, wird mir schlecht und mir laufen Tränen über das Gesicht. Sollten meine Freunde es womöglich nicht überleben, geht das Geld in ein Projekt für neue, junge Filmemachende in oder aus der Ukraine. Dann müssen die die Fackel weitertragen.

(mho [6])


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[3] https://www.heise.de/news/Tschernobyl-strahlt-weiter-Deutsche-Experten-messen-in-Sperrzone-6195841.html
[4] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_6612027.html?back=6611898;back=6611898
[5] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_6612027.html?back=6611898;back=6611898
[6] mailto:mho@heise.de