Nokia 9000 Communicator: 25 Jahre Smartphone, oder was?​

Mit dem Nokia 9000 haben die Finnen die eierlegende Wollmichsau gefunden: Ein Alles-in-einem-Gerät für den modernen Business-Menschen. Aber ein Smartphone?

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Alpha und Omega: Der Nokia 9000 Communicator und das Nokia E7.

(Bild: Kryštof Korb (krystof.k)/Wikimedia Commons/CC BY-SA 3.0)

Lesezeit: 6 Min.
Inhaltsverzeichnis

Mit dem Nokia 9000 Communicator hat Nokia eine vollkommen neue Produktkategorie geschaffen, das weltweit erste Allzweckgerät für Sprach- und Datenkommunikation.

Nokia, Jahresbericht 1996

Am 15. August 1996 bringt Nokia das Modell "9000 Communicator" in den Handel und läutet damit die "Smartphone-Ära" ein. Oder nicht? Letzteres ist durchaus umstritten: Der Nokia 9000 Communicator gilt zwar als Urahn der Geräteklasse, hat mit heutigen Smartphones aber nicht viel gemein. Von einem "Smartphone" ist auch noch nicht die Rede. Nokia nennt sein revolutionäres Produkt mit finnischem Understatement "Allzweckgerät" – oder neudeutsch "All-in-one".

All-in-one trifft es ganz gut: Die Vorfahren unserer heutigen Smartphones sollten all das können, wofür man Mitte der 1990er Jahre noch verschiedene Geräte brauchte: Telefonieren, Termine und Kontakte verwalten, Internet. Wenn man die damals hochmodernen Personal Digital Assistants (PDA, Businessbobos und Nerds der ersten Stunde werden sich erinnern) mit einem Mobiltelefon (altdeutsch "Handy") und einer Volltastatur in ein Gehäuse packt, kommt sowas wie der Communicator dabei raus.

Das Ergebnis sieht aus wie ein Brikett mit Stummelantenne und wiegt auch fast so viel (400 Gramm!). Das formschöne Brikett ist zum Aufklappen: Das innere 4,5"-Display hat eine Auflösung von 640×200 Pixeln – fast so viele Pixel wie ein Desktop-Monitor. Immerhin hält der Communicator, was Nokia verspricht: Man konnte ein paar Büroaufgaben unterwegs erledigen, etwa Faxe (!) oder E-Mails senden und empfangen. Adressbuch und Terminkalender hat man auch immer dabei. Dafür sind 2700 Deutsche Mark wirklich nicht zu viel verlangt.

Das Nokia 9000 gibt sein Debüt auf der CeBIT 1996 in Hannover und kommt im Sommer auf den Markt. Der Communicator prägt die Vorstellung des vollkommenen Business-Handys: Eine Tastatur muss sein. (Bei Research In Motion (RIM) machen sie sich schon mal Notizen.) Das Allzweckgerät ist erfolgreich genug, dass Nokia einige Nachfolger produziert. Das Konzept überlebt sogar die Touch-Revolution, noch 2010 bringen die Finnen mit dem Nokia E7 ein Smartphone mit Volltastatur unter einem schicken Schiebemechanismus heraus.

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Der Communicator ist ein smartes Produkt. Aber ein Smartphone? Nokia spricht davon nicht. Zu der Zeit hat Konkurrent Ericsson ein Projekt in der Schublade, das er "Smart Phone" nennt: Das GS88 ist konzeptionell vergleichbar, geht aber nie in die Serienproduktion – Ericsson baut nur 200 Prototypen. Auf der CeBIT 1999 zeigen die Schweden mit dem R380 eine weiterentwickelte Version ihres "Smart Phone", das mit dem Betriebssystem EPOC Release 5 läuft – der direkte Vorläufer des OS, das ein paar Jahre das Smartphone prägen sollte: Symbian.

Das erste "Smart Phone": Ericsson GS-88 Prototyp.

(Bild: pocketnow.com)

Ein paar Jahre, genauer: bis 2007. Im Januar tritt ein gewisser Steve Jobs auf die Bühne und stellt Apples erstes Mobiltelefon vor. Das "iPhone" hat keine Tastatur, sondern nur ein Touch-Display. Eine Woche später zieht der südkoreanische Elektronikkonzern LG nach und bringt sein Prada KE850 sogar noch vor dem iPhone auf den Markt. Die europäischen Handy-Riesen, allen voran Nokia, lächeln die neue Konkurrenz als "Nischenprodukt" weg. Auch US-Hersteller wie Palm hören den Schuss nicht.

Die c't hat an LGs Prada einiges auszusetzen: "Das elegante Prada-Handy lässt sich als erstes Mobiltelefon am Markt ausschließlich über den kapazitiven Touchscreen per Fingereingabe (jedoch ohne Gesten wie beim iPhone) steuern. Zur Eingabe reicht ein leichtes Antippen, doch reagiert die Oberfläche etwas träge. ... Als Organizer taugt das Prada-Handy kaum: Das Telefonbuch speichert nur vier Nummern und eine E-Mail-Adresse pro Name, auch vermisst man eine Aufgabenliste."

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Vom iPhone hingegen sind die Kollegen durchaus angetan: "Das Apple iPhone überzeugt mit seinem überlegenen, intuitiven Bedienkonzept, dem kein anderes Handy gleichkommt, und der langen Laufzeit als Multimedia-Player. Apple schafft es erstmals, Handy-, Internet-, Multimedia- und PDA-Funktionen so in ein Mobilgerät zu verpacken, dass man sie gerne benutzt." Es wäre aber nicht die c't, wenn nicht auch das neue Superphone noch ein paar Wünsche offen lässt: Wechselakku, UMTS und ein Flash-Plugin für den Browser.

One OS to rule them all.

(Bild: heise online)

IBM darf sich auf die Fahnen schreiben, mit dem "Simon Personal Communicator" schon 1994 eine PDA/Telefon-Kombination mit Touchscreen – monochrom und mit Stiftbedienung – auf den Markt gebracht und immerhin rund 50.000 Stück verkauft zu haben. Nokia, Ericsson und später auch RIM (Blackberry) haben das "Smartphone" weiterentwickelt, aber erst das iPhone hatte diese disruptive Kraft, die eine ganze Branche auf den Kopf stellen kann.

Google guckt genau hin – und handelt. 2005 haben sie das Start-up Android übernommen, das eigentlich ein Betriebssystem für Digitalkameras entwickeln will. Es kommt zu einem folgenschweren Pivot: Statt Kameras soll Android auf Telefonen laufen. Ein Jahr nach dem iPhone kommt mit dem von HTC gebauten G1 das erste Android-Smartphone auf den Markt. Für Nokia, Symbian und die anderen war das der Anfang vom Ende.

Apple und Google prägen die Geräteklasse, die wir heute Smartphone nennen – und nicht mehr die Pioniere. "Aus meiner Sicht ist die Smartphone-Ära erst mit iOS/Android losgegangen", sagt Annette Zimmermann, die für das Marktforschungsinstitut Gartner die Branche seit 15 Jahren beobachtet. "Symbian war ja nicht mal ein Betriebssystem, das für Touchscreens gemacht war."

Auch Blackberry hat den Wechsel auf Touch-Hardware nicht geschafft. Microsofts Schicksal ist eine Tragödie für sich. Die Erinnerung an Nokias Communicator ist damit auch eine Mahnung, wie schnell einen die technische Entwicklung von der Landkarte radieren kann.

(vbr)