Mit Satellitenbildern gegen die Ungleichheit in Südafrika

Townships erhalten im Vergleich zu den reicheren Vorstädten wenig öffentliche Mittel. Forscher hoffen, das Problem durch digitale Kartierung umkehren zu können.

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Township in Südafrika​

Township in Südafrika.

(Bild: Karabo Choma / Shutterstock)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Abdullahi Tsanni

Raesetje Sefala wuchs zusammen mit ihren sechs Geschwistern in unter beengten Verhältnissen in einem sogenannten Township in der südafrikanischen Provinz Limpopo auf. Die Bewohner, überwiegend schwarzafrikanischer Herkunft, bekamen nur unzureichenden Zugang zu Schulen, Gesundheitsfürsorge, Parks und Krankenhäusern. Doch nur wenige Kilometer von ihnen entfernt lebten Familien europäischer Herkunft in großen, attraktiven Häusern und hatten einfachen Zugang zu all den Dingen, die in den Townships fehlten. Die räumliche Trennung der Gemeinden ist ein direktes Erbe des Apartheidregimes. Arme Townships liegen nahe genug an den reichen Siedlungen, damit die Bewohner zur Arbeit pendeln können. Gleichzeitig liegen sie aber entfernt genug, ihnen wichtige Dienstleistungen zu versagen. Je älter Sefala wurde, desto mehr löcherte sie ihren Vater mit Fragen über diese noch immer sichtbare Trennung in ihrer Gemeinde: "Warum ist das so?"

Heute, inzwischen 28 Jahre alt, will sie nun dazu beitragen, etwas dagegen zu tun. Zusammen mit den Informatikerinnen Nyalleng Moorosi und Timnit Gebru vom gemeinnützigen Distributed AI Research Institute (DAIR), das die Ex-Google-Mitarbeiterin Gebru 2021 gegründet hat, setzt sie dazu Computer-Vision-Werkzeuge und Satellitenbilder ein. Damit ist es möglich, die Auswirkungen der Apartheid auf die Wohnverhältnisse zu analysieren – in der Hoffnung, dass die Arbeit dazu beiträgt, sie zu beenden. "Wir sehen immer noch, dass sich das Leben von früher marginalisierten Gemeinschaften nicht verbessert", sagt Sefala. Obwohl sie während des Apartheidregimes noch gar nicht geboren war, ist sie noch immer von dem schrecklichen Erbe betroffen: "Es ist einfach sehr ungleich verteilt und sehr frustrierend."

In Südafrika werden bei der staatlichen Volkszählung sowohl die wohlhabenderen Orte als auch deren Townships, die eine Erfindung des Apartheidregimes waren, als "formale Wohnviertel" eingestuft. Und die Volkszählung dient der Zuweisung öffentlicher Mittel. Wenn jetzt arme Townships mit reicheren Gebieten in einen Topf geworfen werden, werden diese faktisch unsichtbar gemacht und die dort lebenden Menschen unverhältnismäßig stark vom Zugang zu Ressourcen wie Gesundheitsdiensten, Bildungszentren und sogar Grünflächen ausgeschlossen. Dieses Problem hat einen Namen: "Spatial Apartheid".

Sefala und ihr Team haben die vergangenen drei Jahre damit verbracht, eine Datenbank zu erstellen, die die Townships abbildet, um zu untersuchen, wie sich die Gemeinschaften in Bezug auf Bevölkerung und Größe verändern. Sie hofft, damit feststellen zu können, ob sich das Leben der Menschen in den Townships seit dem Ende der Apartheid verbessert hat oder nicht. Zu diesem Zweck sammelte das Projekt Millionen von Satellitenbildern aller neun Provinzen Südafrikas sowie Geodaten der Regierung, die die Situation der verschiedenen Stadtviertel und Gebäude im ganzen Land zeigen. Anschließend verwendeten die Forscher diese Informationen, um ML-Modelle (maschinelles Lernen) zu trainieren und ein KI-System zu entwickeln, das bestimmte Gebiete automatisch als wohlhabend, arm, nur gewerblich verwendet oder unbebaut kennzeichnen kann.

Im Jahr 2021 entdeckten Sefala und ihre Gruppe, dass über 70 Prozent des südafrikanischen Bodens unbebaut ist. Gleichzeitig zeigte sich, dass den Townships viel weniger Land zugewiesen wird als den reicheren Vorstädten. Es kam zu einer Bestätigung vorhandener Ungleichheiten, die erwartet worden war, aber die riesige Menge an ungenutztem Land habe sie dennoch überrascht, sagt Sefala. Jetzt stellen sie die Datenbank anderen Forschern, Bürgerrechtsgruppen und Nonprofits zur Verfügung, die daran arbeiten, Grundstücke zu identifizieren, die für neue öffentliche Dienstleistungen und Wohnungen genutzt werden könnten. DAIR plant, die Informationen ab dem 2. Februar auf seiner Website frei zugänglich zu machen.

"Das Projekt passt genau in unser Forschungsparadigma, Daten mithilfe von KI in die Hände von marginalisierter Gruppen zu geben", sagt DAIR-Gründerin Gebru. Auch wenn die Beseitigung der "Spatial Apartheid" Jahrzehnte dauern kann, hofft Sefala, mit den neu entwickelten Werkzeugen einen systemischen Wandel und mehr soziale Gerechtigkeit zu fördern. "Wir wollen mit unserer Arbeit die Regierung dazu bringen, diese Townships zu kennzeichnen, damit wir anfangen können, echte Probleme der Ressourcenverteilung anzugehen", sagt sie. Die Informatikerin Moorosi, die Sefala jetzt bei DAIR berät, stellte sie 2018 beim südafrikanischen Rat für wissenschaftliche und industrielle Forschung (CSIR) ein. Sefala sei "absolut brillant" und verstehe das Konzept des maschinellen Lernens komplett, sagt sie. Moorosi machte ihr klar, dass sie nicht die Einzige sei, die sich Sorgen über die Auswirkungen der "Spatial Apartheid" machte.

Nach Angaben der Weltbank ist Südafrika das global ungleichste Land. Fast drei Jahrzehnte nach dem Ende der Apartheid beraubt ihr brutales Erbe weiterhin Millionen Menschen ihrer Grundrechte, darunter Arbeitsplätze, Bildung und Zugang zur Gesundheitsversorgung, trotz Versuchen der Politik, dies zu ändern. "Es wirkt sich auf jeden Aspekt des Lebens aus", sagt Nick Budlender, Forscher für urbane Politik bei Ndifuna Ukwazi, einer gemeinnützigen Organisation, die sich für Verteilungsgerechtigkeit in Kapstadt einsetzt.

Die Arbeit von Sefala findet allmählich den Weg in die Hände südafrikanischer Institutionen und Forscher. Anfang dieses Monats teilte DAIR seine Daten mit einer südafrikanischen Denkfabrik, dem Human Sciences Research Council (HSRC), der die Informationen nutzen will, um die Regierung bei der Zuteilung von Haushaltsmitteln für HIV-Behandlungsprogramme im ganzen Land zu beraten. "Wenn sie nicht wissen, wo die Townships liegen und wie schnell die Bevölkerung dort wächst, ist es für sie schwierig, diese Mittel realistisch zuzuweisen", sagt Sefala.

Aber die vielleicht größte Auswirkung des Projekts könnte darin bestehen, Organisationen, die für mehr Gerechtigkeit in der Stadtplanung kämpfen, mit Informationen zu versorgen, insbesondere angesichts der sich verschärfenden Wohnungskrise in Südafrika. In Kapstadt zum Beispiel, der Stadt mit der wohl größten Trennung nach Hautfarbe weltweit, leben etwa 14 Prozent der Haushalte in "informellen" Siedlungen – Gebieten ohne angemessene Unterkünfte und Infrastruktur, die niemand geplant hat. Würden einige der riesigen Grundstücke in öffentlicher Hand in erschwingliche Sozialwohnungen umgewandelt, müssten viele Menschen nicht unter solchen Bedingungen leben, meinen Aktivisten.

Der Mangel an öffentlich zugänglichen Informationen hält bislang den Mythos der Regierung aufrecht, dass es in urbanen Regionen an Bauland fehlt. "Wir haben einen echten Mangel an Daten hoher Qualität", sagt Budlender. Das macht es sehr viel schwieriger, sich für die Nutzung von öffentlichem Land für den Bau von Sozialwohnungen oder Krankenhäusern einzusetzen. Im September letzten Jahres hat Ndifuna Ukwazi nach fünfjähriger Forschungsarbeit eine digitale interaktive Karte, die sogenannte People's Land Map, veröffentlicht, auf der 2700 Parzellen mit freiem oder nur gering bebautem öffentlichen Land in Kapstadt verzeichnet sind.

Damit soll gezeigt werden, dass es reichlich Fläche gibt, die zur Bewältigung der Wohnungskrise beitragen könnte. "Wenn wir die Entwicklung von erschwinglichem Wohnraum gefordert haben, hat die Regierung oft damit reagiert, dass kein Land verfügbar sei. Durch die Entwicklung unser Karte haben wir eindeutig bewiesen, dass dies nicht der Fall ist", sagt Budlender. Sefala will mit ihrem Projekt die Arbeit von Ndifuna Ukwazi weiter unterstützen. Budlender ist begeistert von den Möglichkeiten, die sich daraus ergeben könnten. "Es bietet sich eine echte Chance, den Wandel in den Townships zu beobachten und zu belegen, was hier passiert – und die Politik damit zu gestalten", sagt er. "Denn die ist immer nur so gut wie die Daten, auf der sie basiert."

Mittlerweile reist Sefala durch ganz Südafrika und hält Vorträge vor politischen Entscheidungsträgern, Aktivisten und Studenten. Wenn sie durch die Straßen von Johannesburg geht, bleibt sie oft stehen und schaut auf riesige, mit Gittern und Zäunen gesicherte Häuser und denkt über die Unterschiede zwischen Townships und reichen Stadtvierteln nach. "Townships sind furchtbar arm, das war Teil meiner Realität", sagt sie. "Aber ich bin froh, dass ich etwas daran ändern kann."

(jle)