Wieso China seine Techfirmen stärker unter Kontrolle bringen will

Peking greift gegenüber den einst so erfolgsverwöhnten Internet-Konzernen durch. Worum geht es bei dem Manöver?

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Skyline von Shanghai.

(Bild: Hanny Naibaho / Unsplash)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Martin Kölling
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In der Welt der Tech-Investoren geht ein Gespenst um, das Gespenst der Regulierung von Unternehmen in China. Den ersten Schock erlebte der Aktienmarkt bereits voriges Jahr, als der globale Online-Händler Alibaba überraschend den Börsengang seiner Fintech-Sparte Ant Financial auf amtlichen Druck abblasen musste. Doch in den letzten Monaten ließen weitere Aktionen gegen eine wachsende Zahl an Unternehmen und Wirtschaftssektoren die Aktien chinesischer Firmen im In- und Ausland auf breiter Front einbrechen.

Dieses Jahr nahmen Chinas Behörden die Mitfahr-App Didi Chuxing aufs Korn, nur Tage nach deren Börsengang in den USA. Wenig später wurde der Internetriese Tencent das Ziel der Regulierer – wegen angeblichen Kartellrechtsverstößen. Dann verbot Chinas Regierung auch noch profitorientierte private Paukschulen, die mit der Angst der Eltern Geld verdienen, dass ihre Kinder den Sprung an eine Universität verpassen könnten.

Seither wird in der Tech-Welt über die Absichten und Stoßrichtung der chinesischen Regierung spekuliert. Dabei konkurrieren zwei Erklärungen, die sich allerdings nicht gegenseitig ausschließen müssen. Japans Wirtschaftszeitung Nikkei beispielsweise sah in der Regulierung den Versuch der Kommunistischen Partei, Chinas Datenriesen an die Führungsrolle der Partei zu erinnern. Die Kommentatoren warnten daher, dass Chinas Tech-Riesen zum verlängerten Arm Pekings im Ausland werden könnten.

Andere Beobachter sehen eine gesellschaftspolitische Wende, mit der das Riesenreich einem globalen Trends folgt: die Beschneidung der Macht von Internetkonzernen, besserer Schutz von Daten der Bürger und vor allem eine Verringerung der Kluft zwischen arm und reich. Oder zugespitzt gesagt: China will weniger Online-Manchester-Kapitalismus und mehr soziale Marktwirtschaft chinesischer Prägung.

Aber die Welt ist nicht schwarz-weiß, Chinas Parteidiktatur weder ein monolithischer Block, noch unfähig, gleichzeitig mehrere Ziele zu verfolgen. Die Wahrheit liegt daher in der Mitte. Die übergeordnete Rolle der Partei zu betonen, ist ein wichtiges Ziel. Unter der Führung von Partei- und Staatschef Xi Jinping haben die Machthaber in den letzten Jahren durch zunehmende Unterdrückung kritischer Meinungen klar gemacht, dass sie keine Opposition dulden.

Dies gilt auch für Milliardäre wie den Alibaba-Gründer Jack Ma, der gerne öffentlich Regierungspolitik kritisierte – und wegen seines Starruhms in China viele Menschen erreicht hat und mit seinem Reichtum auch politischen Einfluss besaß. Er gab nicht nur die Konzernführung ab, sondern verschwand auch für ein paar Monate aus der Öffentlichkeit. Seine Mitgliedschaft in der kommunistischen Partei schützte ihn nicht, sondern linderte wohl nur seinen Sturz.

Es gibt sogar eine geopolitische Komponente: Im eskalierenden Technikkrieg zwischen China und den USA sind einigen in Pekings Führung die florierenden Börsengänge chinesischer Firmen in den USA genauso ein Dorn im Auge wie einem Flügel im amerikanischen Establishment. Nur sind die Ängste umgekehrt: Während in den USA die Sorge vor der Macht chinesischer Unternehmen regiert, fürchtet Chinas Regierung den Einfluss ausländischen Kapitals auf Zugpferde der chinesischen Wirtschaft.

Doch wichtiger für die Beurteilung der Lage sind die wirtschaftspolitischen Ziele von Chinas Regierung. "Wir befinden uns an einem bedeutenden Punkt in der Geschichte der chinesischen Wirtschaft und der chinesischen Kapitalmärkte", urteilen etwa die Ökonomen der US-Bank Morgan Stanley in einen Bericht.

Nach Jahren kaum gezügelten Hochwachstums und einer Laissez-faire-Politik in den Tech- und Internet-Sektoren verlagert die Regierung ihre Prioritäten, meinen die Analysten: Das Verhältnis zwischen Wachstum und Nachhaltigkeit soll ausgewogener werden, die harsche soziale Ungleichheit und Unsicherheit mit einer grundlegenden Neuordnung der Rechtsvorschriften gemildert werden.

"Dadurch könnte sich der Anteil der Arbeitseinkommen an der Wirtschaft steigen und der Gewinnanteil der Unternehmen sinken", meinen die Ökonomen.

Aus kartellrechtlicher, datenschützerischer und gesellschaftspolitischer Sicht ist gegen die Maßnahmen dagegen auch in China nicht viel einzuwenden. Wem die Macht westlicher Internet-Konzerne suspekt ist, der muss vor den Freiheiten chinesischer Riesen erschaudern. Tencent hat seine Chat-App WeChat zur Super-App aufgerüstet, ohne die im Leben der Chinesen gar nichts mehr geht. Selbst Bettler nehmen über ihre Smartphones via WeChat Spenden an.

Und dies ist nur ein Beispiel. Auch die Kreditvergabe durch Fintech-Unternehmen florierte, was immer stärker Kritik an den sozialen Folgen privater Überschuldung provozierte. Denn die Internet-Sektoren waren bisher kaum reglementiert und durften nahezu ungezügelt wachsen, um rasch groß zu werden und die Wirtschaft anzutreiben.

Die Strategie hat die Regierung schon in anderen Sektoren angewendet. Aber genauso kappte die Regierung den Wildwuchs in jeder Industrie früher oder später zurück. Nun sind halt die Aushängeschilder chinesischer Internet-Macht an der Reihe, sowie eine Reihe von Wirtschaftszeigen, die als Triebkräfte der wirtschaftlichen Ungleichheit gelten.

So ist Chinas Gini-Koeffizient, ein Maßstab der Einkommensschere, seit seinem Höhepunkt bis 2015 kontinuierlich geschrumpft. Aber seither hat sich der Wert laut chinesischen Berechnungen nicht weiter verbessert, sondern lag 2019 bei 0,465. Ein Wert von 1 bedeutet, dass die Einkommen maximal ungleich verteilt sind.

Laut Berechnungen des amerikanischen Nachrichtendienstes CIA ist in China der Reichtum in etwa so ungerecht verteilt wie in den USA und deutlich ungerechter als in Europa. Andere Berechnungen zeichnen ein etwas positiveres Bild. Das ändert allerdings nichts an der Wahrnehmung vor Ort: In China ist die Schere zwischen arm und reich fast gleichauf mit Luft- und Wasserverschmutzung der größte Sorgenfaktor der Bevölkerung.

Neben der Angst der steigenden Wohnungspreise rangiert aber auch Bildungsfurcht weit oben. Denn die Ausgaben für Paukschulen belastet viele Familien stark. Das Problem: Bislang wird der Zugang zu den raren Studienplätzen an Universitäten durch eine zentrale Eingangsprüfung kontrolliert, die berüchtigte Gaokao. Um die Chancen ihrer Kinder in dem harten Wettbewerb zu stärken, beginnen viele Eltern in den Großstädten, ihren Nachwuchs ab dem Kindergartenalter in außerschulischen Lehranstalten in verschiedenen Fächern zu drillen. Der Grund: Ohne Universitätsabschluss droht der B-Arbeitsmarkt, also niedrige Gehälter und geringe Aufstiegschancen.

Nur können sich arme Familien dieses Bildungswettrüsten nicht leisten. Und so wird die Gaokao, die eigentlich Chancengleichheit sichern sollte, zum sozialen Sieb – einem sehr feinmaschigen noch dazu. Mit einem Verbot von profitorientierten, sprich börsennotierten Schulen und Unterricht an Wochenenden will die Regierung die finanziellen Lasten senken und für gleicheren Wettbewerb sorgen.

Ob dies gelingt, ist eine andere Frage. Aber der Wille zu politischen Veränderungen ist da. Offen ist allerdings, wie lange die neue Verunsicherung der Unternehmens- und Investorenwelt noch die Goldgräberstimmung in Chinas Tech-Industrie vermiesen wird. Selbst der versierte japanische China-Investor Masayoshi Son, der Gründer des Tech-Investors Softbank, will abwarten und fährt vorerst seine Investitionen in China zurück, die ihn zu einem der größten ausländischen Finanzinvestoren gemacht haben.

Softbank ist Großaktionär bei Alibaba, Didi Chuxing und zig weiteren Unternehmen aus dem Bereich künstlicher Intelligenz und der Internet-Wirtschaft. Doch am Dienstag sagte Son auf seiner Quartalsbilanzkonferenz, dass er erst einmal genau beobachten will, welche Sektoren die Regierung in Peking wie tief regulieren wird. "Sobald wir eine bessere Sicht haben, wollen wir die Investitionen wieder aufnehmen."

Softbank und andere Investoren werden die China-Flaute verschmerzen können. Zudem dürfte sich das Mitleid mit ihnen ohnehin in Grenzen halten, angesichts der hehren gesellschaftspolitischen Ziele der chinesischen Regierung. Schließlich schält sich auch im Westen der Konsens heraus, dass die Gesellschaft die Macht der Technikkonzerne und die Einkommensscheren verkleinern muss.

Post aus Japan

Japan probiert mit Elektronik seit jeher alles Mögliche aus - und oft auch das Unmögliche. Jeden Donnerstag berichtet unser Autor Martin Kölling an dieser Stelle über die neuesten Trends aus Japan und den Nachbarstaaten.

Das Problem in China ist, dass Unternehmen und Menschen der Regulierungsmacht des Staats ungeschützter ausgeliefert sind als in anderen Industrieländern. Die Rechtssysteme im Westen sind zwar keineswegs perfekt, aber doch unabhängig genug, dass Firmen wie Privatpersonen sich juristisch gegen amtliche Maßnahmen durchsetzen können. In China ist das weit weniger der Fall. Und dieser geringe juristische Schutz des Individuums ist das eigentliche China-Risiko, für Mensch wie Investor.

(bsc)