Digital Networks Act: Bretons später Plan für die Telekommunikationsbranche​

Längst geht es der EU nicht mehr nur um die Frage, wer Teile der Infrastruktur bezahlt. Der Digital Networks Act soll Abhängigkeiten reduzieren. Eine Analyse.

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(Bild: Svetlana Turchenick/Shutterstock.com)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Falk Steiner

Es ist eine der ältesten Debatten seit der großflächigen Kommerzialisierung des Netzes: Wer soll für welche Teile der Infrastruktur bezahlen? Und mit welchen Auswirkungen? Vor eineinhalb Jahren nahm EU-Digitalkommissar Thierry Breton einen neuen Anlauf, über eine höhere Infrastrukturkostenbeteiligung für die trafficintensivsten Digitalunternehmen nachzudenken – und wurde sofort ausgebremst: Hände weg von der Netzneutralität riefen die einen, Hände weg von etablierte Peering- und Transitmechanismen die anderen. Nur die meisten großen Telekommunikationskonzerne zeigten sich positiv angetan - ging die Idee doch auf ihre seit Jahrzehnten bekannten Wünsche zurück.

Eine Konsultation sollte daraufhin Klarheit ergeben, was sinnvoll sein könnte und was nicht – die EU-Kommission zieht daraus nun Schlüsse und will einen weiteren Gesetzesakt auf den Weg bringen: den Digital Networks Act (DNA). Den kündigte EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton am Dienstagabend in einem langen Post auf Linkedin an. Kern des Vorhabens soll dabei eine Europäisierung des Telekommunikationssektors sein: Breton kündigt unter anderem an, dass die Vergabe von Funkfrequenzen europäisch harmonisiert werden soll. Denn bislang würden, so die Schlussfolgerungen der Kommission aus dem Konsultationsprozess, nationale Vorgaben, die nicht europäisch harmonisiert sind, den Markt behindern und die Geschäfte der Unternehmen unnötig behindern. Denn hierdurch würden unnötige Kosten entstehen, es gehe um Skalierung und damit auch die Finanzierung. Es gehe um die Frage der Aufstellung für die nächste Generation von Telekommunikationsmärkten, bei denen Software Defined Networks (SDN) in Verbindung mit Cloud- und Edge-Computing eine maßgebliche Rolle spielen würden.

Ein Ziel der EU-Kommission ist dabei relativ klar: Sie möchte größere Akteure im europäischen Markt haben, die auch gegenüber den Googles, Metas, Amazons und Netflixes dieser Welt eine deutlich bessere Position haben – indem sie für möglichst viele Endkunden gleichzeitig den Zugangspunkt anbieten. Aus Sicht Bretons geht es um nicht weniger als um den "Riesenschritt vor uns: nicht nur der Telekommunikationssektor, sondern vielmehr der digitalen Technologien".

Um das in den Nationalstaaten politisch etwas schmackhafter zu gestalten, setzt Breton hier zudem auf einen anderen Bereich, der politisch derzeit viel Zuspruch erfährt: Mit dem DNA soll auch die Infrastruktursicherheit weiter ausgebaut werden. Zwar gibt es mit der überarbeiteten Netzwerk- und Informationssicherheitsrichtlinie (NIS2) ein relativ frisches Werk, das aber umfasst längst nicht alle Segmente der von Breton erwarteten digitalen Infrastrukturen. Breton sieht "enorme Schlupflöcher" auch bei den 5G-Netzen.

Was Breton nicht wirklich ausspricht, aber meint: Nicht bloß, dass in einigen Ländern Europas auch heute noch massive Abhängigkeiten von chinesischen – oder politisch gesprochen: nicht vertrauenswürdigen – Anbietern in Mobilfunknetzen bestehen. Und gerade derzeit entstehen neue: Nicht öffentlich zugängliche Netzwerke – sogenannte Campusnetzwerke – unterfallen den spezifischen Regelungen für Telekommunikationsnetze nicht. Ein Konzern kann also etwa seine komplette Werksautomatisierung und Logistiksteuerung oder gar die gesamten Firmennetze mit Hard- und Software von Anbietern ausstatten, die Telekommunikationsanbietern so nicht erlaubt wären. Auch in den sonstigen Infrastrukturen sind die Vorgaben bislang oft schwach – weshalb etwa das hundertprozentige Staatsunternehmen Bahn beim Aufbau ihres "bahnbetrieblichen IP-Netz" (bbIP) bei einer Auftragsvergabe an T-Systems keine Ausschlussklauseln für nicht vertrauenswürdige Anbieter im Paket hatte. Doch der Hinweis von Breton auf SDN und die möglichen Bestandteile geht noch viel weiter – wenn der Kommissar es ernst meinen sollte, müssten auch größere und kleinere Rechenzentren, RAN und weitere eine entsprechende Rolle spielen müssen. Der Cloud-Markt jedenfalls ist derzeit fest in der Hand von Unternehmen, die ihren Sitz nicht in Europa haben – und die wenigen europäischen Akteure setzen bei ihren Angeboten oft auch auf Anbieter, die in anderen Kontexten nicht als vertrauenswürdig eingestuft werden.

Es steckt also viel Konfliktstoff in Bretons neuem Aufschlag – und das, obwohl er zumindest vorerst von der alten Debatte um den "Fair Share", also den gerechten Anteil an den Kosten, etwas Abstand genommen hat: Wie viele Sicherheitsvorgaben möchten die Mitgliedstaaten aus Brüssel akzeptieren? Wäre eine Konsolidierung des Telekommunikationsmarktes – auch in Bretons weiterem Sinne – zugunsten einer stärkeren Position sinnvoll? Ist sie vielleicht unausweichlich, wenn Übernahmen durch Investoren aus dem Ausland verhindert werden sollen? Nach der Konsultation der EU-Kommission zur Zukunft der elektronischen Kommunikation sind die Fragen eher mehr denn weniger geworden. Doch Breton verspricht, mutig zu sein – wie man es auch schon bei anderen Digitalvorhaben gewesen sei. Allerdings hat der Kommissar auch gut reden: Dass ein derart umfangreiches, politisch heikles Vorhaben es noch vor den Europawahlen durch die Institutionen schaffen könnte, scheint nahezu ausgeschlossen. Und wer danach EU-Kommissar sein wird, steht ebenfalls noch in den Sternen.

(mki)