Können uns LNG-Terminals in der Gaskrise wirklich helfen? Ein Pro & Contra

Die Regierung sieht im Bau von LNG-Terminals eine Lösung, um Ausfälle bei russischen Gasimporten zu kompensieren. Welche Argumente dafür und dagegen sprechen.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 354 Kommentare lesen
Flüssigerdgas-Tanker und eine schwimmende Einheit zur Regasifizierung

(Bild: Vytautas Kielaitis / Shutterstock.com)

Lesezeit: 4 Min.

Bei den Entscheidern in Deutschlands Politik ist die Sorge groß, dass die Erdgasimporte aus Russland über die Pipeline Nord Stream 1 zum Erliegen kommen. Im Konflikt um den russischen Angriffskrieg in der Ukraine könnte die Energieversorgung zum Druckmittel werden, um den Westen von seinem harten Sanktions- und Unterstützungskurs abzubringen. Mithilfe des Baus von LNG-Terminals soll rasch der Import von tiefkaltem Flüssigerdgas ermöglicht werden. Doch kann das in der Krise wirklich weiterhelfen?

Gregor Honsel, Redakteur bei Technology Review, und Malte Kirchner, Redakteur bei heise online, legen ihre Positionen zum Thema dar.

Malte Kirchner

Auch wenn noch manche Hürde zu nehmen ist und sich der Zeitplan ambitioniert darstellt: Der Bau von LNG-Terminals in Deutschland hilft uns jetzt – und in Zukunft. Es ist nicht einfach nur eine plumpe Umsetzung zum Teil alter Pläne aus den 1970er-Jahren. Denn trotz der Eile, mit der das LNG-Beschleunigungsgesetz vom Bund beschlossen wurde, waren die Verfasser des Rechtstextes so schlau, eine wichtige Bedingung festzuschreiben: LNG-Infrastruktur ist künftige Wasserstoff-Infrastruktur.

Mit der grünen, also durch regenerative Energien erzeugten Variante des Wasserstoffs könnten mit einem Schlag einige zentrale Probleme von Solar- und Windstrom in Angriff genommen werden: Speicherung, Wetter- und Sonnenunabhängigkeit sowie der höhere Energiebedarf schwerer Fahrzeuge und Industrien, also die Konzentration der Energie, wären damit machbar oder rücken einer Lösung näher. Kurios, dass es erst einer solchen Situation bedurfte und dass ausgerechnet eine Anlage für fossilen Brennstoff Wegbereiter hierfür ist – doch egal, das Ergebnis zählt. Im Gewand einer Brückentechnologie werden hier wichtige Weichen für die Zukunft der Energieversorgung gestellt. Spätestens in zwei Jahrzehnten muss von Flüssigerdgas auf grünen Wasserstoff umgestellt werden. Besser noch früher.

Drum darf sich der Blick nicht auf das Hier und Jetzt reduzieren. Im Moment sind die provisorischen Anlagen ein Feuerlöscher, der angesichts des russischen Spiels mit dem Feuer eines Gas-Blackouts abschreckend wirken soll. Die Botschaft ist: Wir können auch anders. Die Terminals sind – ob ausgelastet oder nicht – ein politisches Zeichen. Deutschland stellt sich in der Energieversorgung breiter auf. Neue Abhängigkeiten sollen vermieden werden. Das, was jeder gute Rechenzentrums-Betreiber beherzigt – Redundanz – hält auch in der Energieversorgung Einzug.

Ein Flüssigerdgasterminal ist das Aufstoßen eines Tores zur Welt. Der Seeweg ermöglicht ganz neue Lieferanten und erlaubt perspektivisch viel mehr Flexibilität im Handel. Es sind nicht mehr starre Pipelines, die den Handelspartner festschreiben. Und Konflikte mit dazwischengeschalteten Ländern können buchstäblich umschifft werden. Bei aller Liebe zu unseren europäischen Nachbarn: Energieversorgung ist Daseinsvorsorge. Es ist kein unfreundlicher Akt, wenn sich jeder breit aufstellt. Es kann im Fall der Fälle sogar allen im Verbund nützlich sein. (Malte Kirchner/mki)

Gregor Honsel

Es mag ja sein, dass es phasenweise nicht ohne LNG gehen wird. Aber das ist noch lange kein Grund für Deutschland, sich gleich mehrere eigene LNG-Terminals ans Bein zu binden. Denn LNG lässt sich auch über die Häfen von Nachbarstaaten importieren, etwa Amsterdam oder Antwerpen. Die Auslastung der europäischen LNG-Terminals liegt im langjährigen Schnitt bei etwa 35 Prozent. Nun ist sie laut der Unternehmensberatung TeamConsult zwar auf einen „historischen Spitzenwert“ gestiegen, aber auch der liegt nur bei 61 Prozent.

Es ist absehbar, dass zusätzliche Kapazität nicht gebraucht wird. „Dank des Fit-for-55-Programms ist Europa gut gerüstet, um mit einem kompletten Ausbleiben von Gasimporten aus Russland fertig zu werden“, schreibt die Beratungsgesellschaft Artelys in einem Gutachten für die European Climate Foundation. „Europa wird zwar weiterhin große Mengen LNG benötigen, aber diese Importe werden das Niveau von 2019/2020 nicht übersteigen und können von der existierenden Infrastruktur bewältigt werden.“

Steckt Deutschland trotzdem viel Geld, das dann woanders fehlt, in den Bau eigener LNG-Terminals, werden diese entweder in Kürze zu gewaltigen Investitionsruinen, oder aber – was aus Klimasicht noch schlimmer wäre – zu einer Rechtfertigung, weiterhin LNG im großen Maßstab zu importieren. „Pfadabhängigkeit“ nennt sich dieses Phänomen. Wenn wir jetzt den Pfad zu mehr LNG einschlagen, wird es in Zukunft schwer, ihn wieder zu verlassen. (Gregor Honsel/grh)

(mki)