Kommentar: 9-Euro-Katze beißt sich in den Schwanz und spielt Schwarzer Peter

Viele Menschen haben dank des Neun-Euro-Tickets erfahren, in welch schlechtem Zustand der Schienenverkehr ist. Eine Lösung wird es so bald wohl nicht geben.

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Kommen und Gehen an einem Metronom am Bremer Hauptbahnhof.

(Bild: heise online / anw)

Lesezeit: 4 Min.

Das Neun-Euro-Ticket ist ein voller Erfolg. Das sagen der Verband der Verkehrsunternehmen (VDV), die Verkehrsminister der Länder ebenso wie Bundesverkehrsminister Volker Wissing. Nun endet die Ära der unkomplizierten und kostengünstigen, wenn auch beschwerlichen Reise durch die Republik. Die alte Ordnung der hunderte Verkehrsverbünde übernimmt wieder die Herrschaft, voraussichtlich mit Preiserhöhungen, weil die Energiepreise stark gestiegen sind. Damit der Schwung, den das Ticket dem ÖPNV gebracht habe, nicht einfach verpufft, müsse ein Nachfolgeticket her, heißt es vor allem von den Grünen und aus der Verkehrsministerkonferenz der Länder.

Doch ist das Ticket jetzt, da es noch nicht aus- und inwendig evaluiert wurde, wirklich schon als Erfolg zu werten? 52 Millionen dieser Tickets wurden verkauft, doch wo lag die Messlatte für den Erfolg? 10 Prozent der Fahrten mit dem 9-Euro-Ticket seien sonst mit dem Pkw absolviert worden, sagt der VDV. Ist das viel? Reicht das als Anschub für die "Verkehrswende"?

Andreas Wilkens

kommt aus den Kulturwissenschaften, wurde frühzeitig in seinem Studium mit Computern konfrontiert – als Arbeitsmittel und Verdienstmöglichkeit. Er kümmert sich im Newsroom von heise online um die Nachrichten aus der IT-Welt.

Bisher dürfte wohl nur klar sein, dass Pendler, die meist mit dem ÖPNV unterwegs sind, finanziell entlastet wurden, wie es als Ausgleich für den Tankrabatt ursprünglich gedacht war. Besonders auf viel befahrenen Strecken aber dürften einige Pendler angesichts der seit Anfang Juni mehr als sonst vorherrschenden Enge in ihren Wagen anderweitig eher mehr belastet worden sein. Die Eisenbahnergewerkschaften beklagen zusätzlichen Stress für die Bediensteten im ÖPNV und zeigen sich froh über das Ende der Aktion.

Auch dürften seit Juni mehr Menschen als früher angesichts vieler Verspätungen im Bahnverkehr festgestellt haben, wie marode insbesondere der regionale und überregionale Schienenverkehr ist. Sie machten Bekanntschaft mit "Verzögerungen im Betriebsablauf", "Reparaturen am Zug", "Stellwerksstörungen" und anderen mehr oder weniger alltäglichen Vorfällen. So gesehen hat die FDP Recht, wenn sie fordert, hier müsse vorrangig angesetzt werden.

Doch die Infrastruktur auf Vordermann zu bringen, dürfte viel Zeit brauchen, in der viele Menschen dabei bleiben werden oder sich dauerhaft darauf einrichten dürften, den ÖPNV zu vermeiden. Um die dringend notwendige Verkehrswende nicht weiter hinauszuzögern, müsste es jetzt schon einen Anreiz dafür geben, den ÖPNV zu nutzen. Da er für viele in der jetzigen Gestalt nicht attraktiv genug ist, bliebe erst einmal nur eine bundesweite Preisschraube.

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Doch günstigere Preise könnten zulasten der Infrastruktur gehen, für die dann weniger Geld übrig bliebe. Hier haben wir die Katze, die sich in den Schwanz beißt. Und sie lässt Schwarzer Peter spielen. Der Bund in Gestalt der FDP-Minister Wissing und Lindner schiebt die unbeliebte Karte den Verkehrsministerien der Länder zu. Diese sollten zuerst einmal die Verkehrsverbünde auflösen und den ÖPNV effizienter machen. Die Länder wiederum wollen Geld vom Bund, um effizienter und attraktiver werden zu können.

Keine Frage: Ein bundeseinheitliches ÖPNV-Ticket würde viel Geld kosten, egal, ob es für monatlich 9, 49 oder 69 Euro zu haben wäre. Allein für das Neun-Euro-Ticket sollen vom Bund 2,5 Milliarden Euro geflossen sein. Geld, das momentan nicht so einfach zu haben sein wird, zumal an anderen Stellen nicht zuletzt durch die Energiekrise ungeheure Kosten entstehen. Dabei haben wir es dieser Krise zu verdanken, dass das Neun-Euro-Ticket eingeführt wurde. Die Verkehrswende wird aufgeschoben, so wie angesichts der nun verstärkt wieder laufenden Kohlekraftwerke der Klimawandel nicht. Wenn Russland nicht die Ukraine überfallen hätte, wäre dann jemand in der Bundesregierung auf die Idee gekommen, ein ÖPNV-Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro zu schaffen?

(anw)