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Kommentar: Der EU fällt endlich die Abhängigkeit von China auf – aber zu spät

Bernd Schöne
Coal,Mining,From,Above

Ein Kohle-Abbaugebiet von oben

(Bild: Mark Agnor/ Shutterstock.com)

Jetzt kommt endlich ein Gesetz zu kritischen Rohstoffen, das die EU unabhängiger von China machen soll. Doch es ist zu spät und zu wenig, meint Bernd Schöne.

Zum Rohstoff drängt, am Rohstoff hängt doch alles! Ach wir Armen! Das dichtete einst Goethe mit Blick auf den Rohstoff Gold. China hat diese Weisheit auf Lithium, Silizium, Seltene Erden und vieles andere schon vor Jahrzehnten ausgeweitet. Was das Reich der Mitte nicht im eigenen Land abbaut, importiert es über gute Beziehungen und intensive Handelskontakte aus Asien, Afrika und Südamerika und bereitet dies dann zu wertvoller Handelsware auf. Als hochreine Raffinade wird die Ware dann an die Industrienationen des Westens verkauft. Bleibt der Nachschub aus, stehen in Europa schnell die Bänder still. Das bewies der Corona-Lockdown. Mit einem neuen Gesetz will die EU ihre Abhängigkeit verringern und politische Handlungsfreiheit zurückgewinnen, denn längst nutzt China sein de facto Monopol auch politisch. Aber man muss klar sagen: zu wenig und zu spät, wie Kritiker berechtigterweise bemerken. Denn längst brennt der Hut.

Ein Kommentar von Bernd Schöne

Bernd Schöne ist freier Journalist der Informationstechnik.

Aktuell blockieren Huthi-Rebellen das Nadelöhr Suezkanal [1]. Seitdem im Februar die "Rubymar" mit 41.000 Tonnen Düngemittel manövrierunfähig geschossen wurde, und eine Umweltkatastrophe auslöste, traut sich kaum noch wer ins Rote Meer. Hightech-Firmen prügeln sich um Kapazitäten in Frachtflugzeugen und stehen in Konkurrenz zu chinesischen Bekleidungsproduzenten. Laut Branchenexperten fliegen Hersteller wie Shein und Temu jeweils 4000 bis 5000 Tonnen Billigklamotten pro Tag aus.

Ohne hochreines Silizium verlässt aber kein Wafer die Fab, ohne Lithium der Extraqualität funktioniert keine Hochleistungsbatterie. Solange die Handelswege sicher, die Preise niedrig und die politischen Beziehungen stabil waren, florierten die Geschäfte und niemand machte sich Sorgen um die allseits gepriesene Globalisierung. Seit dem Zerwürfnis zwischen Trump und Xi Jinping sind die Beziehungen mies, der Handelskrieg eskaliert, die Preise steigen und die Handelsrouten sind dank Pandemie und Krieg höchst unsicher geworden.

Der EU ist mit gebührender Verspätung aufgefallen, dass es nicht sonderlich nachhaltig ist, 97 Prozent des Nickelbedarfs in China zu decken. Ohne Nickel kein Aluminium. Ohne Aluminium kein Leichtbau beim Auto, beim Flugzeug und der Eisenbahn. Die Zahlen auf der Homepage der EU zeigen, wie abhängig die Globalisierung die Industrienationen gemacht hat. 63 Prozent des Weltbedarfs an Kobalt stammen aus dem Kongo, das meiste wird in China aufbereitet. Bei Seltenen Erden, die in Permanentmagneten eingesetzt werden, hat China de facto ein Weltmonopol. Ohne Magnete schnappt aber nicht nur die Kühlschranktür nicht zu. Auch Elektromotoren, Aktoren und Sensoren sind darauf angewiesen.

Der Critical Raw Material Act, verabschiedet Ende 2023 [2], soll nun nach dem Willen der EU die Wende einläuten. Bereits im April oder Mai 2024 wird in Berlin die finale Fassung des Gesetzes erwartet. Und dann, so die Verantwortlichen, will man sich in Deutschland eine Meinung bilden und den Act umsetzen. Für den aktuellen Handelskrieg zwischen den USA und China sowie Russland dürfte die EU-Initiative damit knapp zu spät kommen. Denn beim Abbau von Rohstoffen denken die Beteiligten in Jahrzehnten, nicht in Quartalen. Abbaugebiete müssen erkundet und dann langwierig erschlossen werden.

Die betreffenden Konzerne haben sich im Laufe der letzten Jahrzehnte allerdings einen rabenschwarzen Ruf erarbeitet. Geborstene Rückhaltebecken, abrutschende Steilhänge beim Tagebau, mangelnder Arbeitsschutz unter Tage. Bei dem Dammbruch in Brasilien ergossen sich 2019 rund 12 Millionen Kubikmeter Schlamm über die Stadt Brumadinho und Teile anderer Siedlungen. Mehr als 300 Menschen kamen ums Leben. Der Eisenerzproduzent Vale wird nun auf Milliarden verklagt. Wo immer neue Projekte zur Diskussion stehen, regt sich rasch Widerstand.

Im Januar 2022 scheiterte ein hoffnungsvolles Projekt [3], das für Energie- und Verkehrswende so dringend benötigte Lithium in Serbien abzubauen. Nach gewaltige Investitionen des Konzerns Rio Tinto scheiterte das Projekt an massiven Protesten von Umweltschützern. Ohne Lithium sind alle Pläne für neue E-Autos ohne Hilfe aus China allerdings Makulatur. In Deutschland kämpfen die Betreiber gegen massiven Protest beim Abbau von Kies. Der ist zwar reichlich vorhanden und zum Neubau von Wohnungen und Rechenzentren sowie Straßen und Brücken zwingend erforderlich. Doch die Anwohner klagen über Belästigungen sowie mangelnde Sorgfalt der Betreiber. Nach der Flutkatastrophe 2021 steht der Kiesabbau verstärkt unter Druck. In Erftstadt-Blessem nahe Köln war in der Nacht zum 16. Juli 2021 der Boden nahe einer Kiesgrube am Fluss Erft weggerutscht und hatte zahlreiche Häuser zerstört. Die Anwohner hatten davor lange gewarnt.

Rund 10 Prozent seiner kritischen Rohstoffe will die EU laut CRM innerhalb der Grenzen der EU gewinnen. Woher all die Lagerstätten kommen sollen, bleibt schleierhaft. Den Rest des Bedarfs sollen von diversen anderen Regionen stammen, also nicht aus China. Auch verstärktes Recycling steht auf dem Wunschzettel sowie Aufarbeitung der Rohstoffe innerhalb der Gemeinschaft. Finanziert von Investoren, nicht von der EU selbst. Angesichts der hohen Hürden, was Umwelt- und Arbeitsschutz sowie Bürokratie innerhalb der EU betrifft, wohl eher ein frommer Wunsch. In Deutschland lohnt sich inzwischen weder die Produktion von Glas noch Porzellan oder Photovoltaik.

In der EU vergehen meist rund 15 Jahren von einer erfolgreichen Entdeckung bis zum Abbau eines Rohstoffs. Da hätte man also besser schon während des Sommermärchens mit der Exploration beginnen sollen, parallel zum Fußballspiel. Künftig sollen dank entsprechender Regelungen maximal 27 Monate ausreichen. Recycling- und Verarbeitungsanlagen haben binnen 15 Monaten startklar zu sein. So steht es im Entwurf. Wie die Bevölkerung und die Justiz darauf reagiert, bleibt abzuwarten.

Bei den neuen Lieferländern ist die EU wählerisch. Korruption geht gar nicht, Kinder- und Zwangsarbeit auch nicht. China ist da weit großzügiger und passt sich den lokalen Verhältnissen geschickt an. Die eine Billion Dollar, die China in die Infrastruktur der Neuen Seidenstraße investiert hat, brachte auch neue Abhängigkeiten mit sich. Denn China vergab Kredite und verteilte keine Almosen. Nun sind viele Länder abhängig von Wohlwollen der Chinesen. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt. Vielleicht finden wir ja alle nötigen Zutaten für unsere Wirtschaft in der Lüneburger Heide. Fangen wir an zu graben!

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(fo [5])


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[1] https://www.heise.de/news/Ausfall-von-vier-Internet-Seekabeln-So-massiv-sind-die-Schaeden-im-Roten-Meer-9646210.html
[2] https://www.heise.de/news/Einigung-bei-kritischen-Rohstoffen-EU-will-unabhaengiger-von-China-werden-9529208.html
[3] https://www.heise.de/hintergrund/De-Globalisierung-Kann-Europa-sich-selbst-mit-Lithium-versorgen-7223228.html
[4] https://www.heise.de/ix/
[5] mailto:fo@heise.de