Bei der Cannabis-Legalisierung hat die Bundesregierung Angst vor eigener Courage

Zwar nicht zum Jahreswechsel, wohl erst zum April 2024 wird Cannabis-Konsum legalisiert. Doch was ist mit dessen Handel, fragt TR-Redakteur Wolfgang Stieler.

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(Bild: Roxana Gonzalez/Shutterstock.com)

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Drogenpolitik ist eine höchst irrationale Angelegenheit. Denn sie hat oft mit wirtschaftlichen und machtpolitischen Vorgaben zu tun und nur selten etwas mit Gesundheitsschutz. Das ist nicht neu. Dass sich dieses Muster auch bei der bevorstehenden Legalisierung von Cannabis in Deutschland wiederholen wird, ist aber zutiefst frustrierend.

Zur Erinnerung: Die internationale Ächtung von Cannabis war keineswegs das Ergebnis einer medizinischen Debatte, sondern einer politischen. Die ägyptische Regierung hat im Rahmen der zweiten internationalen Opiumkonferenz 1925 in Genf überraschend ein Verbot dieser Droge verlangt, nachdem die Verhandlungen über Kokain, Heroin und andere Substanzen monatelang stockten. Die deutsche Delegation lehnte den Vorschlag der Ägypter zunächst ab, doch die drohten mit einem Einfuhrstopp für Kokain und Heroin – wichtige und auf dem internationalen Mark höchst erfolgreiche Erzeugnisse der deutschen Pharmaindustrie. Um wirtschaftlichen Schaden abzuwenden, stimmte die deutsche Delegation einem Cannabis-Verbot zu, das fortan in – fast – allen Ländern gelten sollte.

Ein Kommentar von Wolfgang Stieler

Nach dem Studium der Physik wechselte Wolfgang Stieler 1998 zum Journalismus. Bis 2005 arbeitete er bei der c't, um dann als Redakteur der Technology Review zu wirken. Dort betreut er ein breites Themenspektrum von Künstlicher Intelligenz und Robotik über Netzpolitik bis zu Fragen der künftigen Energieversorgung.

Das ist immer noch so. Und es gilt eigentlich auch in den Niederlanden. Streng genommen ist der Joint in Amsterdam genauso illegal wie in Berlin – die berühmten Coffeeshops werden lediglich geduldet. Privater Konsum von Cannabis wird in der Regel nicht polizeilich verfolgt.

Das klingt echt tiefenentspannt, hat aber eine dunkle Seite. Denn weil der Handel mit Cannabis und Cannabis-Produkten illegal ist, müssen die Coffeeshop-Betreiber ihre Ware auf dem Schwarzmarkt kaufen. Sehr zur Freude des organisierten Verbrechens, das nebenbei nicht nur mit dem geduldeten Cannabis dealt, sondern auch ganz Europa mit Kokain und Heroin versorgt.

Eigentlich ist die Lehre aus diesem Beispiel ziemlich einfach: Wer nicht will, dass das organisierte Verbrechen von einer Liberalisierung des Konsums weicher Drogen profitiert, muss den Handel mit diesen Substanzen legalisieren. Und zwar am besten über staatlich lizenzierte Abgabestellen, die gleichzeitig auch die Qualität der Waren kontrollieren.

Dieser Text stammt aus MIT Technology Review 7/2023

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Vor genau diesem Schritt aber schreckt die Bundesregierung zurück. Stattdessen soll es ab Juli 2024 sogenannte Cannabis-Clubs geben, in denen sich Selbstversorger zusammenschließen können, die ihre eigenen Pflanzen ziehen. Nicht ganz zu Unrecht beklagen Polizei und Justiz, dass die neuen Regelungen, inklusive Ausnahmen und Ausnahmen von den Ausnahmen – kein Gras-Anbau in der Nähe von Kitas zum Beispiel – unmöglich zu kontrollieren und durchzusetzen sind.

Und das alles nur, weil ein Rechtsgutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages angeblich belegt, dass der staatlich lizenzierte Handel mit Cannabis gegen EU-Recht verstoßen würde. Allerdings ist dieses Rechtsgutachten von der CSU in Auftrag gegeben und die Folgerungen daraus sind durchaus umstritten. Meine Vermutung ist viel eher: Die Bundesregierung hat Angst vor ihrer eigenen Courage bekommen und befürchtet, Haschkekse und Joints aus der Apotheke würden beispielsweise der rechten politischen Szene Aufwind geben.

Dabei wäre das die einzig sinnvolle Möglichkeit, den Schwarzmarkt auszutrocknen. Aber das geht ja nicht. Die Debatte um die Cannabis-Legalisierung ist so irrational, dass sie manchmal nur vollkommen zugedröhnt zu ertragen ist.

(wst)