Bewerbungs-Schreiben von ChatGPT: Moralisch problematisch​?

Nie war es leichter, eine gute Bewerbung zu schreiben. Das macht KI jetzt möglich. Ihr großes Manko sind mangelnde Individualität und moralische Fragwürdigkeit.

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(Bild: stockfour/Shutterstock.com)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Peter Ilg
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Seit Wochen vergeht kein Tag, an dem nicht in mehreren Medien über den Textgenerator ChatGPT berichtet wird. Fürs Schreiben wurde das künstlich intelligente Programm entwickelt. Schnell und flüssig formuliert es etwa Bewerbungen für eine neue Stelle. Schon mehrere Journalisten haben den Chatbot eingesetzt, um herauszufinden, wie die Anschreiben auf Personaler wirken. Fast alle fiktiven Kandidaten hätten den Job bekommen. Einziger Kritikpunkt: Im Bewerbungsschreiben fehlt Persönlichkeit. Mit Emotionen tut sich künstliche Intelligenz (KI) schwer, mit Fakten hingegen leicht.

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Erfinder des Bots sind Entwickler im US-Unternehmen OpenAI, das seinen Sitz in San Francisco hat. Dass der Bot von Open AI auf Anhieb so gut funktioniert und treffend formuliert, überrascht manche Fachleute. Millionen Menschen aber freuen sich über den künstlichen Assistenten, der ihnen das mitunter mühsame Schreiben einer Bewerbung abnimmt. Bei so viel Potenzial des Programms könnte diese Anwendung eine für die Zukunft im Arbeitsleben sein. Innerhalb weniger Wochen hat es ChatGPT geschafft, das bis dato abstrakte Gebiet der Künstlichen Intelligenz für private Massen nutzbar zu machen. Bislang haben das eher Unternehmen getan. Das Programm macht Hausaufgaben, schreibt Master-Arbeiten und Bewerbungen. Mit dem Bot ist Open AI ein wahrlich großer Wurf gelungen – dem Bewerbungsschreiben bringt diese Technologie wahrscheinlich ihr völliges Ende.

Früher war das Anschreiben das Kernstück einer jeden Bewerbung. Die sogenannten Motivationsschreiben wurden mühevoll verfasst und jedes Wort akribisch abgewogen, sodass keine Aussage vom Unternehmen missverstanden werden könnte. Inzwischen werden Bewerbungsschreiben zunehmend überflüssig. Nach einer Umfrage von Karriere.de unter 30 Dax-Konzernen bezeichnen rund 40 Prozent das Anschreiben allenfalls als optional. Das bedeutet: Ein Anschreiben mitzuschicken schadet nicht, es wird aber nicht erwartet.

Reinhard Scharff fällt zurzeit auf, dass manche Anschreiben nicht mehr wie früher nur wenige Absätze kurz sind, sondern manchmal zwei Seiten lang. "So etwas macht heutzutage kein Mensch mehr von Hand", sagt der Personalberater und Geschäftsführer der Personalagentur "Die Stellenbesetzer" in Stuttgart. Die Agentur sucht häufig Ingenieure und Softwareentwickler im Auftrag ihrer Kunden. "Da sind zum Teil echte Füchse darunter, was den Umgang mit neuen Anwendungen wie ChatGPT angeht", sagt Scharff. Er vermutet, dass in der Firma in letzter Zeit schon künstlich intelligent verfasste Bewerbungen angekommen sind – auch weil sie besser formuliert waren. "Technisches Personal tut sich damit teilweise schwer", sagt Scharff. Die Möglichkeit, dass Programme ihnen diese Arbeit abnehmen und sie sogar besser schreiben, macht ihnen das Leben leichter.

Bewerbungen von ChatGPT sind für Scharff kein Ausschlusskriterium für Bewerber. "Wir werden damit leben lernen und arbeiten müssen." Häufig tun wir das schon heute, denn Rechtschreib- und Grammatikprogramme korrigieren Fehler in Texten seit Jahren schon automatisch. Mit dem Bot sind wir nun in der nächsten Stufe der Unterstützung beim Schreiben angekommen: Er schreibt richtig und sogar gut. Ein Anschreiben hält der Personalberater weiterhin für wichtig: "Menschen formulieren ihre Arbeitsinhalte, die sie gerne und gut gemacht haben, nur im Anschreiben aus." Das ist der Unterschied zum Lebenslauf, in dem Fakten aufgelistet sind. So sei das Anschreiben ein hilfreiches Mosaiksteinchen bei der Beurteilung eines Bewerbers.

Die Bedeutung des Anschreibens ist heute noch hoch, aber aus überraschendem Grund: "Die meisten Unternehmen achten weniger auf die Inhalte, als auf die Form, um etwas über den Kandidaten zu erfahren", sagt Uwe Kanning, Professor für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Osnabrück mit Forschungsschwerpunkt Personal. Sie achten auf formale Dinge wie die Länge, die sollte länger als eine halbe, aber kürzer als eine Seite sein oder sie zählen Tippfehler. Durch diese Analysen meinen die Unternehmen herauszufinden, ob der Bewerber zum Anforderungsprofil passt und ob er motiviert ist.

In einer anderen Studie hat Kanning allerdings herausgefunden, dass all diese Versuche, zwischen den Zeilen etwas über den Bewerber herauszufinden, nichts bringt. Das heißt: "Anschreiben werden überinterpretiert und es wird etwas hineingelesen, was nicht drinsteht." Tendenziell laufen Anschreiben aus und Kanning hält das auch für richtig. "Wegen der Gefahr der Falschinterpretation." In Zeiten von Fachkräftemangel sollte sich kein Unternehmen solche Fehler leisten und lieber einen mehr als einen weniger zum persönlichen Gespräch einladen.

Kanning kann verstehen, dass Leute Programme wie den ChatGPT nutzen, um sich die Mühe des Schreibens zu sparen. "Ich vermute, dass es legal ist, denn soviel ich weiß, gibt es keine Regeln, die das verbieten." Sich selbst im Anschreiben und im gesamten Bewerbungsprozesse positiver darzustellen, als man tatsächlich ist, wird täglich praktiziert. Auch der Arbeitgeber präsentiert sich positiver als er ist. "Aber bewusst etwas Falsches vorgaukeln sollten beide nicht", sagt Kanning. Ein mithilfe von KI verfasstes Bewerbungsschreiben gehe aber schon in diese Richtung. Der Professor hält es für nicht legitim, einen völlig falschen, positiven Eindruck über sich selbst zu vermitteln. Das ist moralisch problematisch.

Anschreiben sind auch ohne KI nicht so individuell, wie oft gemeint. "Denn häufig werden sie aus dem Internet heruntergeladen und inhaltlich lediglich angepasst, etwa in Bezug auf eigene Stärken, die möglichst zur Stellenausschreibung passen sollen", sagt Kanning. In einer weiteren Studie hat er herausgefunden, dass zwei Drittel aller Bewerber so vorgehen und je jünger sie sind, umso häufiger laden sie ihre Vorlagen aus dem Netz.

Das macht Anschreiben immer ähnlicher und die persönliche Komponente bleibt dabei auf der Stecke. Das ist schon ohne KI so und mit KI das Ende des Anschreibens.

(axk)