"Grünes EU-Label" für Atomkraft und Erdgas stößt auf Kritik und Wohlwollen

Mit ihren zum Jahresanfang vorgelegten Vorschlägen für eine Taxonomie befeuert die EU-Kommission eine rege Diskussion über Atomkraft und Erdgas an.

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Im Gegensatz zu Deutschland setzt Frankreich auf die Atomkraft, so wie hier in Flamanville.

(Bild: EDF)

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Der Vorschlag der EU-Kommission für eine Taxonomie-Verordnung, laut dem auch Atomkraft und Erdgas als geeignet für den Übergang zur Klimaneutralität gelten soll, erregt einige Gemüter. Dabei gibt es dazu innerhalb der Bundesregierung unterschiedliche Meinungen.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) meint, "die Vorschläge der EU-Kommission verwässern das gute Label für Nachhaltigkeit. Eine Zustimmung zu denen neuen Vorschlägen der EU-Kommission sehen wir nicht". Die Hochrisikotechnologie Atomkraft als nachhaltig zu etikettieren verstelle den Blick auf die langfristigen Auswirkungen für Mensch und Umwelt und sei mehr als bedenklich. Dabei verwies Habeck auf den hochradioaktiven Atommüll auf mangelnde harte Sicherheitskriterien. "Es ist ohnehin fraglich, ob dieses Greenwashing überhaupt auf dem Finanzmarkt Akzeptanz findet", betonte Habeck.

Die EU-Kommission hatte am 1. Januar ihre Vorschläge für eine künftig gültiges System zur Klassifizierung von Finanzprodukten vorgelegt, Taxonomie-Verordnung genannt. Es soll Investoren Orientierung geben und Kapital in den Umbau von Energieproduktion und Wirtschaft hin zur Klimaneutralität lenken. Dazu sollen neben Erneuerbaren Energien nach den Vorstellungen der EU-Kommission – mit Auflagen – auch Atomkraft und Erdgas zählen.

"Fraglich ist auch, fossiles Gas mit in die Taxonomie aufzunehmen", sagte Habeck. Etwas anders sieht das sein Kabinettskollege Finanzminister Christian Lindner (FDP). "Deutschland benötigt realistischerweise moderne Gaskraftwerke als Übergangstechnologie, weil wir auf Kohle und Kernkraft verzichten", sagte Lindner der Süddeutschen Zeitung. Die Anlagen sollten hinsichtlich der Klimaneutralität mit Wasserstoff betrieben werden, daher habe die Bundesregierung dafür geworben, dass die entsprechenden Investitionen effektiv möglich seien. Das habe die EU-Kommission dankbarerweise aufgegriffen.

Zum geplanten "grünen Label" für die Atomkraft verwies Lindner darauf, dass die Bundesregierung zur Atomkraft eine andere Auffassung vertrete als die Kommission. "Am deutschen Atomausstieg halten wir fest", heißt im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP. Die grüne Bundesumweltministerin Steffi Lenke kritisierte ebenso wie Parteikollege Habeck die EU-Vorlage scharf. "Die EU-Kommission erzeugt die große Gefahr, wirklich zukunftsfähige, nachhaltige Investments zugunsten der gefährlichen Atomkraft zu blockieren und zu beschädigen", sagte Lemke der Rheinischen Post. "Auch die Aufnahme von Erdgas halte ich für fragwürdig."

"Man ist im Übrigen kein guter Europäer, wenn man nur Entscheidungen akzeptiert, die einem passen", äußerte dazu der stellvertretende FDP-Vorsitzende Wolfgang Kubicki im Boulevardblatt "Bild". Die Ampel müsse einen Konsens darüber finden, wie der Ausgleich zwischen der CO2-Reduktion und der stabilen Energieversorgung gelingen könne. Dabei hälfen Denkverbote jeglicher Art nicht weiter. Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Lukas Köhler meinte in ähnlichem Ton laut Welt, "aus unserer Sicht wird es keine qualifizierte Mehrheit gegen den Vorschlag der Kommission zur Atomkraft geben, deswegen ist es richtig, an diesem Vorschlag weiterzuarbeiten".

Alexander Dobrindt, Chef der CSU-Landesgruppe in der Bundestagsfraktion von CDU und CSU betonte in der Welt, die Ampel-Parteien müssten lernen, dass sich ein europäischer Energiemix unterscheiden können müsse von der Energieerzeugung in Deutschland. "Raus aus der Kernenergie, raus aus der Kohle, weg vom Gas, das kann sicher nicht für alle EU-Länder gleichzeitig funktionieren und übrigens auch nicht für Deutschland als energieintensives Land, das auch Stromimporte benötigt."

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Deutschland hatte sich gegen die Aufnahme der Atomkraft in die Taxonomie ausgesprochen, zugleich aber für ein grünes Label für Gas als notwendige Übergangstechnologie gekämpft. Für Länder wie Frankreich ist hingegen die Atomkraft eine Schlüsseltechnologie für eine CO2-freie Wirtschaft. Österreich drohte dagegen mit rechtlichen Schritten gegen die Pläne.

Neben Habeck und Lemke hatte auch der SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch die Kommissionspläne zu Atomkraftwerken scharf kritisiert. Auf die Frage, ob sich Deutschland einer möglichen Klage Österreichs anschließen solle, sagte Miersch, man setze auf Diskussionen und Verhandlungen.

Die Deutsche Umwelthilfe spekuliert, "offenbar hat sich Bundeskanzler Olaf Scholz für die Aufnahme von fossilem Gas in die Taxonomie eingesetzt und dafür im Gegenzug den französischen Wunsch nach Aufnahme der gefährlichen Atomkraft unterstützt". Die DUH fordert von den Mitgliedsstaaten und dem Europäischen Parlament, sich im weiteren Prozess klar gegen diese Ausgestaltung der Taxonomie zu positionieren und sich für eine Neuvorlage des Rechtsaktes einzusetzen.

Die EU-Kommission will die Vorlage noch in diesem Monat förmlich annehmen, dann haben die EU-Mitgliedsstaaten im Rat der Europäischen Union und das EU-Parlament maximal sechs Monate Zeit, Einwände zu erheben. Die EU-Mitgliedsstaaten sind insbesondere in der Frage der Atomkraft gespalten. Auf der einen Seite hatten im März 2021 sieben EU-Mitgliedsstaaten bei von der Leyen für die Förderung der Atomkraft geworben. Darunter auch Frankreich, dessen Präsident Emmanuel Macron vor Kurzem auch "Mini-AKW" als Bestandteil der Strategie ausgab, sein Land klimaneutral zu machen. Auf der anderen Seite stehen Deutschland, Spanien, Österreich, Dänemark und Luxemburg, die sich im Juli 2021 dagegen aussprachen, Atomkraft bei Investitionen zu begünstigen. Bundeskanzler Scholz hatte kürzlich zu dem Thema darauf verwiesen, dass jedes EU-Land seine eigene Politik verfolge. SPD-Vorsitzende Saskia Esken hatte sich schon vor der Vorlage der EU-Pläne strikt dagegen ausgesprochen, die Atomkraft als "grüne" Energie einzustufen.

(anw)