Tschernobyl von Russland erobert, Atombehörde sorgt sich um AKW in der Ukraine

Im Krieg gegen die Ukraine hat Russland die Kontrolle über die Atomanlagen von Tschernobyl übernommen. Die UN-Atomaufsicht ruft zu höchster Zurückhaltung auf.

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Ausschnitt aus einem in Tschernobyl aufgenommenen Video, das der belarussische Journalist Tadeusz Giczan auf Twitter veröffentlicht hat.

(Bild: Twitter)

Lesezeit: 3 Min.

"Nicht identifizierte Streitkräfte" haben die Kontrolle über alle Einrichtungen des Atom-Standorts Tschernobyl übernommen, die sich innerhalb der dortigen Sperrzone befinden. Das hat die ukrainische Atomaufsicht der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA mitgeteilt. Es seien dort keine Menschen getötet worden, auch habe es keine Zerstörungen gegeben.

IAEA-Generaldirektor Rafael Mariano Grossi erklärte, es sei von entscheidender Bedeutung, dass der sichere Betrieb der kerntechnischen Anlagen in dieser Zone in keiner Weise beeinträchtigt oder unterbrochen wird. Die IAEA verfolge die Situation in der Ukraine mit großer Sorge und fordert höchste Zurückhaltung, um zu vermeiden, dass die Atomkraftwerke des Landes gefährdet werden.

Dabei erinnerte Grossi an einen Beschluss der IAEA-Generalkonferenz von 2009, laut dem jeder bewaffnete Angriff auf und die Bedrohung von kerntechnischen Anlagen, die friedlichen Zwecken dienen, einen Verstoß gegen die Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen darstellen.

Die IAEA beobachte die Entwicklungen in der Ukraine und achte insbesondere auf die Sicherheit ihrer Atomkraftwerke und anderer kerntechnischer Anlagen, sagte Grossi. Die ukrainische Atomaufsicht habe der Behörde bisher versichert, dass die AKW sicher und geschützt betrieben werden.

Das versichert auch der ukrainische Energiekonzern Energoatom in einer Mitteilung: "Die Atomkraftwerke der Ukraine und alle separaten Abteilungen von Energoatom arbeiten normal." Die Stromerzeugung sei stabil und entspreche dem Zeitplan. Es gebe keine Hinweise auf Handlungen, die den sicheren Betrieb der Atomkraftwerke stören könnten.

Ebenso wichtig sei Cybersicherheit im Allgemeinen und die der kritischen Infrastruktur, teilte Energoatom weiter mit. Dazu gehörten speziell alle Atomkraftwerke. Alle bisherigen massiven Cyberangriffe seien abgewehrt worden.

"Wir glauben an unsere Armee und an unsere eigenen Kräfte. Wir bewahren Ruhe, lesen nur verifizierte, offizielle Informationen und werden sie regelmäßig zur Verfügung stellen. Energoatom erfülle gewissenhaft seine Aufgabe, damit sowohl unsere Armee als auch die Bevölkerung Licht und Wärme haben", versicherte Energoatom-Chef Petro Kotin.

In der Ukraine gibt es insgesamt 15 Reaktorblöcke, von denen im Dezember 2021 14 in Betrieb waren und 300 Millionen kWh Strom pro Tag produzierten. Vor Kurzem gingen zwei Reaktoren wegen Problemen vom Netz. In Tschernobyl wurde bis ins Jahr 2000 Strom produziert, dann ging der letzte dortige Reaktor wegen eklatanter Sicherheitsmängel vom Netz. In Block 4 ereignete sich 1986 eine Kernschmelze und Explosion. Die Reaktorruinie mitsamt dem darin enthaltenen hochradioaktiven Material muss ständig überwacht werden; auf dem Gelände wird Atommüll gelagert.

Zur Motivation Russlands, die nahezu menschenleere Sperrzone von Tschernobyl zu kontrollieren, wurde von Moskau offiziell nichts bekannt gegeben. Laut der Nachrichtenagentur Reuters, die sich auf eine Quelle aus Russland beruft, wolle Russland damit unterstreichen, dass sich die NATO nicht in den Krieg einmischen solle. Die russischen Streitkräfte hätten sich von Belarus aus auf Tschernobyl zubewegt. Strategisch liegt Tschernobyl zwischen dem Dreiländereck Belarus, Russland und Ukraine und der ukrainischen Hauptstadt Kiew – es liegt also für eine Invasion aus Russland, die auf Kiew zielt, auf dem Weg. Die Sprecherin des US-Präsidenten Jen Psaki sprach von einer "Geiselnahme" Tschernobyls.

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(anw)