Test Kia EV6 GT-Line: Kräftig, aber das Ladetempo bei Frost enttäuscht

Bei kühlen Temperaturen lud der Kia EV6 im Test noch immer ziemlich zügig, allerdings nicht so schnell wie erhofft. Dennoch hat der EV6 kaum Konkurrenz.

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Kia EV6

Kia verspricht im EV6 eine Ladezeit von 18 Minuten für eine SoC-Anhebung von 10 auf 80 Prozent. Im Test dauerte es erheblich länger.

(Bild: Martin Franz)

Lesezeit: 9 Min.
Inhaltsverzeichnis

Er hatte sich wirklich bemüht, der nette Herr von der EnBW-Servicehotline. Doch weder ein wiederholtes Einstöpseln noch ein kompletter Reboot der Ladesäule führten zu einem erfolgreichen Miteinander von der Ladesäule in Ebersberg und dem Kia EV6. Es blieb der einzige Ausfall in dieser Richtung. Der EV6 zeigte im Test allerdings andere Eigenheiten.

Der Begriff "Crossover" wird inzwischen von der Autoindustrie derart intensiv genutzt, dass manch einer sich wohl fragen wird, ob Modelle außerhalb davon nun die Exoten geworden sind. Auch der Kia EV6 passt schlecht in gängige Raster, insofern stimmt die Übersetzung. Mit 4,68 Metern ist er etwa so lang wie ein Skoda Octavia (Test), doch sein Radstand ist mit 2,9 m über 20 cm länger. Das Platzangebot im Innenraum ist dementsprechend großzügig.

Die Sitzposition ist dagegen wieder abseits dessen, was man von einem Nicht-SUV vielleicht erwarten würde, denn als ein Seat Tarraco (Test) vor mir fuhr, hatte ich das Gefühl, dass dessen Fahrer nicht viel höher sitzt als ich im EV6. Unbewusst versuchte ich immer mal wieder, den gar nicht mal so bequemen Sitz tiefer einzustellen, doch er war schon komplett unten. Insbesondere Menschen mit langem Oberkörper würde ich empfehlen, vorher zu testen, ob der Platz reicht. Dabei fehlte im Testwagen das Schiebedach mit Öffnungsmöglichkeit, die es im Hyundai Ioniq 5 nicht gibt. Damit dürfte die Kopffreiheit weiter eingeschränkt sein.

Ich bin aus Testwagen Kummer gewohnt, was die Rundumsicht anbelangt. Selten allerdings verdeutlichte ein Auto in unserem Testfuhrpark derart massiv, wie egal dieses Thema bei der Gestaltung war. Sicher, beim Einparken helfen die sehr guten Kameras, sofern sie sauber sind. Auch die Ansicht im Display, in der das komplette Fahrzeugheck aus einer gewissen Distanz zu sehen ist, beeindruckt.

Kia EV6 (12 Bilder)

Im Allradmodell ist der vordere Kofferraum mit 20 Litern so klein, dass nicht einmal das Ladekabel samt Vorladegerät hineinpasst. Im Modell mit Heckantrieb sind es 52 Liter.

Eine nette Spielerei ist die Idee, das Bild der Kameras in den Seitenspiegeln beim Setzen eines Blinkers im Kombiinstrument einzublenden. Spätestens in der Dämmerung wird aber klar, dass so was keinesfalls eine gute Rundumsicht oder einen Außenspiegel ersetzen könnte. Auch dann nicht, wenn der Fahrer daran denkt, die Linsen sauber zu halten. Beim Abbiegen in der Stadt kostet der schlechte Ausblick nach hinten Nerven.

Die Entscheidung, auf einen Heckscheibenwischer zu verzichten, erscheint mir ebenfalls überdenkenswert. Man vermisst ihn im Kia EV6 nicht oft, manchmal aber doch. Ein paar Worte haben sich auch die modischen Türgriffe verdient, die bei Bedarf ausklappen sollen. Ich hatte die Situation, dass ich bei geöffneter Fahrertür noch etwas auf die Rückbank legen wollte, der hintere Türgriff mich aber nicht reinließ. Lösung: in der Fahrertür das Auto einmal verriegeln und wieder öffnen. Für meine Begriffe ist das kein Fortschritt, sondern einfach ärgerlich. Welchen Vorteil eine motorisierte Ladeklappe haben soll, erschließt sich mir auch nach ein paar Tagen nicht. Der Umstand, dass ich sie in der App öffnen und schließen kann, ändert daran nichts.

Kia EV6 außen (8 Bilder)

Der Kia EV6 passt schlecht in ein gängiges Fahrzeugraster. Mit 4,70 Metern (EV6 GT-Line) ist er ungefähr so lang wie ein BMW 3er.

Sehr gut gefallen hat mir die Verarbeitung, hier gab es im Testwagen nichts auszusetzen. Der EV6 macht auch an keiner Stelle den Eindruck, bei der Materialauswahl hätte ein besonders strenger Controller das letzte Wort gehabt. Nichts wirkt billig oder nur oberflächlich gut. Kia hängt in der einstigen Paradedisziplin einiger deutscher Autohersteller diese inzwischen ab. VW wird bei der anstehenden Überarbeitung des ID.3-Innenraums deutlich nachlegen müssen, was angesichts der Ausgangslage allerdings auch nicht schwer werden wird.

Herausragend ist die technische Plattform e-GMP, die der Hyundai-Konzern derzeit quer über drei Marken verteilt, beim Schnellladen – einer Spannungsebene von 800 Volt sei Dank. Die Koreaner setzen bei der Zellchemie auf NMC811, also acht Anteile Nickel, einen Anteil Mangan und einen Anteil Kobalt. Damit liegt der Kobalt-Anteil deutlich unter dem, was Volkswagen derzeit in die Elektroautos für die breite Masse einbaut. Dort ist es NMC622.

Schon das Basismodell des Kia EV6 hat 58 kWh, alle anderen 77 kWh und damit etwas mehr als der Hyundai Ioniq 5. Da die Batterien baugleich sein dürften, gibt Kia wohl einfach mehr Reserven frei. Gut möglich, dass der Ioniq 5 mit einem Update 2022 in dieser Hinsicht aufschließt. Die Lademöglichkeiten unterscheiden sich nicht. An Wechselstrom sind dreiphasig bis zu 11 kW möglich, an Gleichstrom mehr als 200 – zumindest in der Theorie.

Hyundai bewirbt diese Plattform damit, dass nur 18 Minuten vergehen, bis die Batterie von 10 auf 80 Prozent aufgeladen ist. Klar muss jedem sein, dass für die Umsetzung dieser werbewirksamen Aussage in der Praxis wirklich alle Parameter ideal zusammentreffen müssen. Das betrifft den anfänglichen Ladestand, die Batterietemperatur und natürlich auch die Hardware vor Ort – Ladestationen mit 350 kW sind schließlich hierzulande die absolute Ausnahme. Schwächelt einer der Beteiligten, muss der Fahrer mit geringeren Ladeleistungen leben.

Auf den ersten Blick wirken die 79 kW vielleicht enttäuschend, die wir im Test bei einer Außentemperatur von - 2 Grad Celsius ausgehend von einem SoC von 15 Prozent an einer Ladesäule mit 150 kW bestenfalls erreicht haben. Doch der Wert muss ein wenig eingeordnet werden. Er lag an nach einer Fahrstrecke von 36 km über Land, die nicht ausgereicht haben, um die Batterie über die Stromabnahme während der Fahrt nennenswert zu erwärmen. Zwischen 15 und 55 Prozent SoC war er stabil, erst im Anschluss ging es ein wenig abwärts.

Zur Rechnung gehört auch die Umkehroperation: Die 40 Prozent zwischen einem SoC von 15 und 55 entsprechen rund 31 kWh. Sie waren innerhalb von rund 23 Minuten nachgeladen – wie angemerkt unter ungünstigen Umständen. Etwas mehr Tempo könnte Kia erreichen, wenn man die Batterie-Klimatisierung mit einer geschickteren KI ausstatten würde. Zwar wird der Speicher bei Temperaturen wie im Test ein wenig beheizt, doch wer ein maximales Ladetempo anstrebt, muss in den Tiefen des Infotainmentsystems den "Winter-Modus" einschalten. Dann wird die Heizung der Batterie hochgefahren, auf Kosten der Reichweite versteht sich. Es wäre gut, wenn das eine Logik im Hintergrund allein entscheiden würde, beispielsweise, wenn der Fahrer als Ziel eine Ladestation im Navi eingibt.

Der Verbrauch in unserem Test lag zwischen 16,6 und 29,9 kWh – jeweils inklusive Ladeverlusten, denn die müssen Sie ja letztlich auch bezahlen. Der erste Wert entstand auf der Landstraße im Eco-Modus mit minimaler Wärmeforderung des Fahrers. Der zweite ist das Resultat einer Autobahn-Raserei im Sport-Modus, schließlich soll es Menschen geben, die 239 kW Systemleistung auch dazu nutzen wollen. Im Schnitt über alle Fahrten hinweg waren es schließlich knapp 21 kWh/100 km, wie geschrieben, bei Temperaturen um den Gefrierpunkt. Im Sommer sind niedrigere Werte zu erwarten. In der kalten Jahreszeit wird dagegen wieder einmal deutlich, dass der batterieelektrische Antrieb kein Abfallprodukt "Wärme" im Übermaß produziert, sondern diese aktiv zusätzlich erzeugen muss.

Nach ein paar Tagen des Ausprobierens, erstaunlich-betörend-locker-leichter Überholmanöver und der Erkenntnis, dass der EV6 mit Allradantrieb und 239 kW Systemleistung auch auf der Autobahn bei Bedarf vorn mitspielt, wurde mir bewusst: Für meine Fahrweise ist dieses überbordende Leistungsangebot Perlen vor die Säue geworfen. Es ließe sich mit einem Funken Verantwortungsgefühl in meinem Nutzungsprofil mit überwiegenden Fahrten über Landstraßen praktisch nie komplett ausschöpfen. Dabei ist der Aufpreis gegenüber dem schwächeren Paket durchaus nicht überzogen: Für Allradantrieb und 71 kW zusätzlicher Systemleistung berechnet Kia 3900 Euro. Wer das braucht, bekommt hier also ein deutliches Plus für vergleichsweise wenig Geld.

Kia EV6 innen (13 Bilder)

Kia bemüht sich um eine gelungene Kombination aus modernem Design und hoher Funktionalität - weitreichend erfolgreich.

Wie im Kia Sorento PHEV (Test) überzeugt das Infotainmentsystem auch hier weitgehend. Das Arbeitstempo ist flott, an die Umwege, die sich die Programmierer an einigen Stellen überlegt haben, gewöhnt man sich mit der Zeit. Schade, dass Kia keine Möglichkeit geschaffen hat, oft genutzte Funktionen so ablegen zu können, dass diese mit einem Klick zu erreichen sind. Die Sprachsteuerung und ich, wir kamen nicht so recht zueinander. Wie im SUV schlug mir sie auch im EV6 erstaunlich oft "Kay" oder "Anne" vor, egal was ich ihr zurief. Von dem, was Mercedes in dieser Hinsicht eingekauft hat, bleibt Kia aktuell einigermaßen weit entfernt.

Das Basismodell des Kia EV6 kostet 44.990 Euro, der gut ausgestattete Testwagen mit 239 kW, GT-Line-Ausstattung und ein paar Extras kam auf 63.500 Euro. Von dieser Summe geht die komplette Innovationsprämie noch ab, sodass für den von uns gefahrenen EV6 ohne weitere Verhandlungen noch 53.930 Euro zu überweisen wären. Das erscheint angesichts der mitgereichten Ausstattung und der umfangreichen Garantie durchaus fair. Denn beispielsweise ein BMW i4 Basismodell liegt nur auf den ersten Blick in einem ähnlichen finanziellen Rahmen. Für vieles, was Kia ohne Zusatzkosten einbaut, muss man dort draufzahlen.

Die Kosten für die Überführung wurden vom Hersteller übernommen, jene für Strom von Hersteller und Autor.

Hersteller Kia
Modell EV6 (GT-Line)
Motor und Antrieb
Systemleistung in kW 239
Systemdrehmoment in Nm 605
Fahrwerk
Spurweite vorn in mm 1628
Spurweite hinten in mm 1637
Reifengröße 235/55 R19
Maße und Gewichte
Länge in mm 4695
Breite in mm 1890
Höhe in mm 1550
Radstand in mm 2900
Kofferraumvolumen in Litern 490
Leergewicht in kg nach EU inklusive 68 kg Fahrer und 7 kg Gepäck 2090
Zuladung in kg 440
Batterie in kWh 77,4
Fahrleistungen
Beschleunigung von 0 auf 100 km/h in Sekunden 5,2
Höchstgeschwindigkeit in km/h 185
Verbrauch
Verbrauch WLTP in kWh/100 km 17,2
Ladeleistung an AC in kW 11
Ladeleistung an DC in kW 220
Reichweite in km (WLTP) 506
Testverbrauch in kWh/100 km 20,8
Daten Stand Januar 2022
Modell Kia EV6 (239 kW)
Ausstattungslinie GT-Line
Preis für diese Ausstattungslinie 58.890
Infotainment
USB-Anschluss Serie
Soundsystem 900
Navigationssystem Serie
Verkehrsdaten in Echtzeit Serie
Freisprecheinrichtung Serie
Head-up-Display 1790 (Paket)
Android Auto/Apple CarPlay Serie
kabelloses Laden von Handys Serie
Assistenz
Tempomat Serie
Abstandstempomat Serie
Einparksensoren vorn Serie
Einparksensoren hinten Serie
Einparkassistent 1790 (Paket)
Rückfahrkamera Serie
Müdigkeitserkennung Serie
Spurhalteassistent Serie
Matrix-Licht Serie
Nachtsicht-Assistent -
Funktion
LED-Scheinwerfer Serie
elektrische Heckklappe Serie
Alarmanlage -
schlüsselloser Zugang Serie
Fahrwerksoption -
Wärmepumpe 1000
Komfort
Sitzheizung Serie
Sitzbelüftung Serie
Massage -
Ledersitze -
beheizbares Lenkrad Serie
Lederlenkrad Serie
Klimaautomatik Serie
Schiebedach 990
Akustikverglasung -
Sonstiges
Metalliclack 720
Leichtmetallfelgen Serie
Preisliste Stand Januar 2022

(mfz)