Le Pen: Mit ihr vergeht die deutsch-französische Freundschaft?

Bild: Vox España.

Unruhen in Frankreich: Es wird wieder über das vorzeitige Ende der Regierung Macron spekuliert. Für Deutschland wären das keine guten Aussichten. Die Krisen-Gewinnerin will einen deutlichen Kurswechsel.

Die Unruhen, die in ganz Frankreich nach dem gewaltsamen Tod des 17-jährigen Nahel ausgebrochen sind und über mehrere Nächte, könnten eine politische Zeitenwende im Nachbarland verstärken. Auf der rechten Seite des politischen Spektrums hegt man die Hoffnungen, dass es jetzt endlich so weit kommen könnte, dass Marine Le Pen im nächsten Anlauf die Regierungsmacht in Frankreich erringen könnte.

In Deutschland wurden diese Hoffnungen nicht zuletzt von Anhängern einer Partei geäußert, die hierzulande der Ampel gerne den Garaus machen würde und bei Umfragen inzwischen in ungeahnte Höhen gestiegen ist.

Die Gewaltausbrüche als Symptom der Desintegration der französischen Gesellschaft

Anders als bei früheren Aufständen wurde dieses Mal der Anlass, die tödlichen Schüsse auf den 17-Jährigen von einer Anwohnerin gefilmt. Das Video ist darauf in den sozialen Medien viral gegangen.

Nun gibt es in Publikationen Streit über den genauen Wortwechsel, der im Video nicht deutlich zu hören. In sozialen Medien verbreiten Meldungen eine Version, die bestens zum Narrativ der Rechten passt, die nichts auf die Polizei kommen lassen wollen, dafür alles auf die "Einwanderer".

Bei den Schilderungen, die von der linken Seite kommen, wird an den Rand gedrängt, dass der 17-Jährige aus der Banlieue eine Vorgeschichte hatte, die ihn als Person schildert, die durch Aggressivität aufgefallen ist. So angeblich auch vor der fatalen Situation.

Dass die Sache nicht ganz so einfach ist – der Hergang weist, wie Le Parisien über die Ermittlungen berichtet, einige Unklarheiten auf –, wie man sie sich auf Twitter oder auch hier im Forum erzählt, zeigt sich am Stand der Dinge bei den Ermittlungen, wonach sich die Polizisten, die an der Verkehrskontrolle beteiligt waren, in ihren Aussagen in wichtigen Punkten widersprechen.

Den genauen Hergang muss ein Gericht klären. Dem Polizisten wird Totschlag vorgeworfen. Solche Anklagen werden nicht leicht genommen. Die Schuldfrage ist ein eigenes Terrain. Auch im Großen, im politischen Feld geht es um sehr komplizierte Fragen und der Weigerung vielerseits, sie genau in den Blick zu nehmen.

Die Jugendlichen, meist die dritte Generation von Zuwanderern aus den ehemaligen französischen Kolonien in Nordafrika, fühlen sich im französischen Mutterland abgehängt und um ihre Zukunft betrogen.

In den immer wieder aufkeimenden Protesten gegen Rassismus und Ungleichheit artikuliert sich die Wut über eine strukturelle Diskriminierung bei der Job- und Wohnungssuche, in der Politik oder auch in den Medien. Dabei staut sich das Gefühl auf, dass sie nicht als vollwertige Franzosen, sondern als Bürger zweiter Klasse wahrgenommen und ihre Probleme nicht nur nicht ernst, sondern überhaupt nicht registriert werden.

Die systematische Benachteiligung der Nachfahren der Zuwanderer aus den ehemaligen Kolonien belastet die französische Gesellschaft schon seit Jahrzehnten. Friedliche Proteste wie beispielsweise der Marsch gegen Rassismus und für Gleichberechtigung fanden schon 1983 statt.

Bis heute hat sich die Situation für die Diskriminierten nicht gebessert. Die französische Polizei, die als Gendarmerie nicht dem Innen-, sondern dem Verteidigungsministerium untersteht, fühlt sich im Krieg und handelt entsprechend. Dass die französische Polizei für ihr Verhalten auch international in der Kritik steht, ficht sie nicht an.

Die Polizeigewalt in Frankreich hat Methode, wie sich nicht erst bei den aktuellen Geschehnissen gezeigt hat. Auch ist der Rassismus bei der Polizei keine bloße Unterstellung. Fast zwei Drittel aller französischen Polizisten wählen rechtsextrem.

Wenn sich Le Pen in Frankreich politisch durchsetzt ...

... dann bekommt Deutschland Probleme: Vor der letzten Wahl hatte die Parteichefin des Rassemblement National (früher: Front National, der deutliche Verbindungen zum Faschismus hatte), angekündigt, im Falle eines Wahlsiegs die ″französische Blindheit" gegenüber Berlin" zu beenden, die es in jüngster Zeit gegeben habe.

Sie wolle es nicht zulassen, dass Deutschland die französische Atomindustrie zerstöre. In diesem Punkt besteht übrigens Übereinstimmung mit der aktuellen französischen Regierung, die sich in ihrer Energiepolitik von Deutschland behindert sieht.

Sie wollte im Falle eines Wahlsiegs den Ausbau von Wind- und Sonnenenergie stoppen und bestehende Windkraftanlagen zurückbauen lassen. Mit der Idee, Deutschland solle, wie zu Zeiten von de Gaulle, nicht in den gleichen internationalen Gemeinschaften wie EWG und Nato tätig sein dürfen, greift Le Pen alte französische Vorbehalte gegen den östlichen Nachbarn wieder auf.

Es gibt bis heute eine französische Grundstimmung, die Deutschland als Bedrohung wahrnimmt, einerseits militärisch, anderseits jedoch auch wirtschaftlich. Da man Deutschland heute nicht mehr aus der Nato fernhalten kann, tendiert Le Pen dazu, Frankreich wieder aus der Kommandostruktur der Nato herauslösen. Auch das ist ein Déjà-vu.

In den 1960er-Jahren hatte de Gaulle unmittelbar nach einer Reise in die Sowjetunion den Abzug der französischen Offiziere aus den integrierten Stäben der Nato vollzogen. In der Folge wurde das Nato-Hauptquartier sowie die politische Nato-Spitze von Paris nach Brüssel verlegt. Auch Le Pen suchte die Nähe zu Russland. Ihre Partei erhielt 2014 einen Kredit von einer russischen Bank und kurz vor den Wahlen im Jahr 2017 wurde sie vom russischen Präsidenten Wladimir Putin im Kreml empfangen.

Eine "Deutschlandhasserin" im Élysée?

″Sie wäre sozusagen der Orbán-Faktor hochskaliert zu einer größeren politischen Bedeutung″ wurde Professor Dr. Joachim Schild, Inhaber der Professur für Vergleichende Regierungslehre an der Universität Trier, in einem Interview mit euractiv vor der Wahl in Frankreich zitiert.

Zur Integration einer zerstrittenen Gesellschaft eignet sich ein gemeinsamer Feind besonders gut. Und da bietet sich ein Griff in die historische europäische Mottenkiste geradezu an. Die birgt zahlreiche Beispiele für deutsch-französische Konflikte, die der inzwischen deutlich abgekühlten deutsch-französischen Freundschaft vorausgingen.