30 Jahre "Demolition Man": Grob und gröber​

Vor 30 Jahren entwarf "Demolition Man" eine subversive Zukunftsvision des Jahres 2032. Erstaunlich viel davon ist schon in Erfüllung gegangen.

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(Bild: Warner Bros. / Silver Pictures)

Lesezeit: 14 Min.
Von
  • Gerald Himmelein
Inhaltsverzeichnis

Science-Fiction-Filme mit aufwendig produzierten Zukunftsvisionen faszinieren nicht zuletzt deshalb, weil sich der Blick darauf im Laufe der Jahrzehnte immer wieder wandelt. Einige Dinge sind zwischenzeitlich in Erfüllung geraten, andere erscheinen naive Zukunftsmusik. Dann vergehen wieder zehn Jahre und plötzlich sind Dinge eingetreten, die mal als undenkbar galten.

Der Film "Demolition Man" aus dem Jahr 1993 weist nicht nur mit einer, sondern mit gleich zwei Zukunftsvisionen auf: Der Prolog findet 1996 statt, die Haupthandlung im Jahr 2032. Wie viel sich von der zweiten Prognose bewahrheitet, bleibt abzuwarten; die erste hat sich zum Glück nicht ergeben.

Das Horrorszenario von Los Angeles anno 1996 ist deutlich geprägt von den Rodney King Riots, die damals erst ein Jahr zurücklagen: Das Hollywood-Schild steht in Flammen, Suchscheinwerfer zerschneiden den Nachthimmel, überall in der Stadt brennen Gebäude und eine militarisierte Polizei liefert sich erbitterte Schlachten mit rücksichtslosen Warlords, die sogar Luftabwehrwaffen haben.

Das "San Angeles" von 2032 ist dagegen eine diametral entgegengesetzte Utopie: Alles ist hell und sauber, die Gebäude sind von viel Grün umgeben und die Polizei hat kaum etwas zu tun, weil alle Menschen ganz furchtbar nett und zuvorkommend geworden sind. Im Laufe der Handlung offenbart sich jedoch schnell, dass der scheinbare Frieden trügt.

Als der Film am 8. Oktober 1993 in die US-amerikanischen Kinos kam, war die unterschwellige Subversion beider Zukunftsvisionen offenbar nicht so deutlich wie diverse unbeholfene Dialoge, die von Action-Klischees durchsetzte Handlung und das fast lachhaft optimistische Ende.

Dennoch war der Film an den Kinokassen ein voller Erfolg. Die Karriere von Sylvester Stallone bekam wieder Aufwind, die Frisur von Wesley Snipes inspirierte Basketball-Star Dennis Rodman zu seinem legendären Look und Sandra Bullock stahl allen Mitdarstellern die Show. Die zeitgenössische Kritik sah hingegen nur die Haare in der Suppe.

Der brutale Verriss von Emanuel Levy in Variety beschrieb "Demolition Man" als "laute, seelenlose, selbstgefällige Pastiche, die Elemente aus Sci-Fi, Action-Adventure und Romantik verquirlt und dann eine Schicht Komödie mit etlichen Hollywood-Insider-Witzen darüber schüttet". Autsch.

San Angeles, das Utopia im Jahr 2032 (5 Bilder)

Sylvester Stallone spielt John Spartan – halb Polizist, halb Cowboy. Sandra Bullock verkörpert die junge Polizistin Lenina Huxley.


(Bild: Warner Bros. / Silver Pictures
)

In den vergangenen 30 Jahren ist dem Film jedoch das Kunststück gelungen, sich trotz seiner Schwächen auch in den Augen der Kritik zu rehabilitieren. Während der Corona-Pandemie wurde "Demolition Man" fast gebetsmühlenartig als treffsicherer Blick in die Kristallkugel bezeichnet (was übrigens totaler Stuss ist). In jedem Fall sind Anspielungen an den Film zum festen Bestandteil der Meme-Kultur geworden; so finden sich unter anderem im Erfolgsspiel "Cyberpunk 2077" kommentarlose Anspielungen auf den Film.

So ganz Unrecht hatte der Variety-Kritiker nicht: Tatsächlich reiht "Demolition Man" gnadenlos Klischees aneinander. Weißer Cop überwältigt schwarzen Bösewicht, Bösewicht bezichtigt Cop eines Verbrechens (glasklar gelogen), Cop und Bösewicht landen beide hinter Gitter. Bösewicht kommt frei, Cop ist der Einzige, der ihn noch stoppen kann – alles schon tausendmal gesehen.

Der erste kreative Dreh ist, dass L.A. im Jahr 1996 kryogenische Gefängnisse hat: Statt Gefangene teuer durchzufüttern, werden sie wortwörtlich auf Eis gelegt. So wird Cowboy-Cop John Spartan (Sylvester Stallone) wegen "fahrlässiger Tötung von 30 Zivilisten" zu 70 Jahren Kryo-Haft verurteilt und vereist. Auf demselben Weg wird auch der durchgeknallte Warlord Simon Phoenix (Wesley Snipes) eingefroren. 2032 wird Phoenix für ein "Bewährungs-Hearing" aufgetaut, was er als Chance zum Ausbruch nutzt. "Demolition Man" ist ein Zeitreise-Film ohne Zeitmaschine.

Die schlechte Absicherung des Gefängnisses in der Zukunft erleichtert dem Bösewicht die Flucht enorm. So muss Phoenix nur "Teddybär" sagen, schon springen seine Stahlfesseln auf. Mit Zwei-Faktor-Authentifizierung wäre das nicht passiert. Immerhin ist zum Verlassen des Gefängnisses eine biometrische Identifikation per Iris-Scan nötig. Dieses Problem löst der Verbrecher sehr blutig, indem er den Gefängnisdirektor mit einem Füllfederhalter um ein Auge erleichtert.

Schnell offenbart sich, warum es mit der Sicherheit des Gefängnisses nicht zum Besten steht. Im Polizeihauptquartier wird zwar ein Alarm aufgelöst, der die Polizisten aber komplett überfordert: Einen "Code 187" habe es zuletzt am 25. September 2010 gegeben. Wer keinen Hip-Hop hört, dem sei erklärt: "187" steht für Mord, nach dem Paragrafen des kalifornischen Strafgesetzbuchs.

Rein theoretisch ist Strafverfolgung im Jahr 2032 ziemlich easy: Allen Bürgern wurden organische Microchips implantiert, über die sie sich überall orten lassen. Niemand besitzt noch Waffen, Polizisten führen lediglich einen stockförmigen Elektroschocker mit sich, der bei Kontakt sanft bewusstlos macht.

Fortbewegung der Zukunft à la "Demolition Man" (4 Bilder)

Die Polizeiautos der Zukunft sind von GM bereitgestellte Konzeptfahrzeuge vom Typ Ultralite.


(Bild: Warner Bros. / Silver Pictures)

Für den seltenen Fall, dass Polizeibeamten tatsächlich zum Einsatz ausrücken müssen, greifen sie in "Demolition Man" zu glänzenden Handheld-Geräten, die ihnen Verhaltenstipps geben. Das klingt dann so: "Mit fester Stimme verlangen Sie, dass der Wahnsinnige sich mit den Händen auf dem Rücken hinlegt" oder "Stellen Sie Kommunikation mit Eindringling her".

Überhaupt ist die Zukunft sehr formal: Alle grüßen einander stets mit vollem Namen, gefolgt von Floskeln wie "Sanfte Grüße", "Friede mit Ihnen" und "Haben Sie einen friedlichen Tag". Die Welt ist ein Yogakurs.

Wer im Polizeiquartier anruft, wird direkt von einem Beamten begrüßt: "Willkommen beim Notruf des San Angeles Police Department. Wenn Ihnen eine automatische Antwort lieber ist, drücken Sie jetzt die Eins!" Keine Überraschung, dass in dieser Zukunft niemand der Grobheit des aufgetauten Schwerkriminellen etwas entgegensetzen kann. Der erste Verhaftungsversuch endet fatal.

Nachdem Simon Phoenix sein Gemetzel ungehindert fortsetzt, stellen die hilflosen Polizisten fest, dass sie Hilfe brauchen. Jemanden, der aus ebenso hartem Holz geschnitzt ist wie Phoenix ... und das ist natürlich John Spartan, der Demolition Man aus dem letzten Jahrtausend.

Noch nicht ganz aufgetaut, erfährt der ungläubige Spartan erst einmal, dass seine Frau 2010 bei einem katastrophalen Erdbeben umgekommen ist, das US-Westküste plattgemacht habe. (Kann noch kommen). 2011 seien dann die Städte Santa Barbara, Los Angeles und San Diego zum Metroplex "San Angeles" verschmolzen.

Zum Neuanfang gehörte auch eine Umorganisierung der Gesellschaft: So wurde alles, was Menschen nicht guttut, kurzerhand verboten. Schnell zählt die Polizistin Lenina Huxley (Sandra Bullock) auf, was 2032 alles illegal ist: Alkohol, Koffein, Kontaktsportarten, Fleisch, Schokolade, Benzin, unpädagogisches Spielzeug, gewürztes Essen und Schimpfwörter.