Aston Romeo: 50 Jahre Alfa Montreal

Seite 2: Komfortabel, aber schwerfällig

Inhaltsverzeichnis

Leider sitzt auch das Auto selbst nicht ideal auf der Straße. Denn der hochkarätige Antrieb wurde einfach auf das Chassis der Giulia gesetzt. Das Serienmodell ging hier aus Kosten- und Zeitgründen nicht über die Kanadastudien hinaus. Deshalb gehört der Montreal nur längsdynamisch zu den Schnellen. Um Kurven muss er wie ein widerspenstiges Schiff mittels einer gefühllosen Kugelumlauflenkung gehievt werden. Er quittiert es mit starker Karosserieneigung und stampfender Hinterachse. Was bei Giulia und ihrem Bertone-Coupé mit maximal 130 PS starkem Vierzylinder noch kongenial austariert wirkt, ist mit dem großen V8-Luxusliner einfach überfordert.

Rein optisch hat der Serien-Montreal trotz nahezu identischer Anmutung offenbar seine Proportionen eingebüßt. Vielen ist das Serienmodell zu kurz und zu breit, der Radstand zu kurz. Eine klassische Schönheit ist er nicht mehr. Auch die Details wie die Gitterteilabdeckungen der Frontscheinwerfer, die anders als bei der Studie beim Lichteinschalten druckluftgesteuert nach unten wegklappen, polarisieren. Das Kombinstrument mit Runduhren die fast wie Matrjoschka-Puppen in zwei große Runduhren integriert sind, löst bei vielen Erstbetrachtern gar fassungsloses Kopfschütteln aus. Die schlechte Sitzposition und die mangelnde Fahrdynamik verdichten das dann schnell zu einem vernichtenden Urteil.

So urteilte Auto Motor und Sport bei ihrem ersten Test 1970 der Montreal sei "wohl das älteste neue Auto", das jemals vorgestellt worden sei. Das kommt einem Todesurteil gleich für ein Fahrzeug, das mit knapp 35.000 Mark in Deutschland deutlich teurer war als ein Porsche Carrera RS 2.7 (34.000 Mark) oder ein BMW 3.0 CSI (31.000 Mark). Doch es lohnt sich, sich auf den Montreal einzulassen. Dann fasziniert er jeden Tag mehr. Seine Form besteht aus vielen faszinierenden Details, die man auch nach Jahren nicht müde wird zu betrachten. Er ist vielleicht kein Eyecatcher, aber man kann sich nicht an ihm sattsehen.

Auch seine Attitüde muss man verstehen. Der Montreal ist ein klassischer Granturismo blauen Blutes, der manische Kurvenhatz indigniert den Neureichen überlässt. Und auf einmal wird aus dem missglückten Sportwagen ein unwahrscheinlich lässiges Coupé. Der Montreal ist von seiner ganzen Anmutung her der beste Aston Martin, der jemals aus Italien kam.

Diese Mischung aus Granturismo, Ästhetik und Spleen gepaart mit Schwächen wie einem schwerfälligen Kurvenverhalten bieten in dieser emotionalen Güte nur noch ein DBS V8 oder sein eigentlich nur facegelifteter Nachfolger V8 Saloon. Wer dagegen einen Alfa Granturismo sucht, der der Perfektion ungleich näher kommt, wird beim GTV6 aus den Jahren 1980 bis 1987 fündig. Vor allem Fahrwerk und Querdynamik spielen beim Alfetta-Sproß mit Transaxle-Bauweise in einer gänzlich anderen, höheren Liga.

Alfa Romeo Montreal (16 Bilder)

Der Alfa Romeo Montreal debütierte 1970, drei Jahre nachdem seine Studie in Kanada die Autowelt verführt hatte. Sein auf 200 PS gezähmter Renn-V8 ermöglichte dem leer 1270 kg schweren Coupé eine Standardbeschleunigung auf 100 km/h in 7,6 Sekunden und eine Höchstgeschwindigkeit von 219 km/h. 1970 waren das Supersportwagenwerte.
(Bild: FCA)

Der Arese-V6 gilt völlig zu Recht bis heute als einer der besten und bestimmt emotionalsten Sechszylinder überhaupt. Mit 158 PS, Bosch-L-Jetronic, begeisternder Kraftentfaltung und wunderschönem Klang macht er einem den Verzicht auf 42 PS und zwei Zylinder unglaublich leicht. Nur das Getriebe des Montreal und seine angenehm trockene Exaktheit vermisst man ständig, wenn man im schlecht geführten Transaxlesalat des Alfetta-Keils rühren muss.

Man glaubt sofort, dass der ursprünglich geplante GTV8 mit dem Montreal-Motor an der Achillesferse dieses Getriebes scheiterte. Sein Drehmoment hätte es schlicht bald zerspant. Doch nicht nur dadurch ist die Faszination des Montreal und seine Alleinstellung erklärlich. Der Montreal wurde bis 1977 nur 3925 mal produziert. Rostvorsorge, Materialauswahl und Verarbeitung spielen im Vergleich zur viel geschmähten Alfetta auf einem ganz anderen Stern.

Die vermeintlichen Schwächen im Fahrverhalten schließlich können sich zu einem stimmigen Ganzen formen, wenn man sich auf den Montreal einlässt und ihn artgerecht bewegt. Dem einen mag das verborgen bleiben, der andere wird schon nach den ersten Metern schockverliebt sein. Der Montreal hat nämlich eine Unmenge an Charakter, der sich nur Gleichgesinnten erschließt.

Schlimm ist nur, dass etwa 100.000 Euro für einen gut erhaltenen Montreal eingesetzt werden müssen. So wird er auch für viele, die in verstehen und lieben, nur das bleiben, was er für die Allermeisten ohnehin ist: Ein Traumwagen, den wir der Weltausstellung 1967 in Montreal, Kanada, verdanken.

(chlo)