Die X-Akten der Astronomie: Können Sterne einfach verschwinden?

Seite 2: Die Guten ins Kröpfchen…

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Die schwächsten Sterne klammerten sie aus der Betrachtung aus, da viele Sterne variabel sind, ihre Helligkeit ändert sich mehr oder weniger periodisch. Mit Beteigeuze hatten wir im Januar und Februar einen populären Vertreter dieser Sterne im Rampenlicht. Auch Sterne, die sich schnell über den Himmel bewegen, versuchten sie auszuklammern, indem sie sich an den im USNO verzeichneten Eigenbewegungen der Sterne orientierten. Damit das gesuchte Objekt nicht einfach deswegen verschwunden war, weil es sich zu weit fortbewegt hatte, um in beiden Katalogen als identisch erkannt zu werden. Zur Sicherheit glichen sie unabhängig davon die Positionen für neu aufgetauchte Objekte und für verschwundene Objekte miteinander ab und ignorierten Fälle, wo solche Simultandetektionen zu nahe beieinander auftraten.

Ihre Auswahl umfasste am Ende bis zu 10 Millionen Sterne in vier nach leicht abweichenden Kriterien extrahierten Listen aus dem USNO-Katalog. Unter denjenigen Objekten, deren Positionen durch SDSS-Aufnahmen abgedeckt waren, fanden sie 288.158 Objekte, für die das Programm kein SDSS-Gegenstück in einem Radius von 9 Winkelsekunden fand (inklusive möglicher Mehrfachnennungen in den vier Listen). Diese Auswahl inspizierten sie visuell auf den SDSS-Fotoplatten (skandinavische Winterabende sind lang…), die wesentlich mehr Sterne zeigen, als im digitalen SDSS-Katalog enthalten sind, und fanden auch meistens einen Stern an der passenden Stelle, der bei der digitalen Erfassung der SDSS-Daten von der Verarbeitungspipeline nicht berücksichtigt worden war. Bei den übrigen Fällen handelte es sich überwiegend um Bildartefakte wie schwarze "tote" Streifen, oder um Objekte, die von Beugungsscheibchen anderer Sterne oder Beugungs-Spikes der Teleskope teilweise überdeckt waren, die sie somit aus der Auswahl strichen. Am Ende blieben noch 148 Kandidaten übrig.

Der „verlorene“ Stern aus der Arbeit von 2016. Die Aufnahmen links oben und unten stammen aus den POSS-I-Fotoplatten und sind vom 16. März 1950. Das untere ist eine Ausschnittsvergrößerung und zeigt den Stern genau in der Bildmitte. Die Bilder rechts stammen aus den POSS-II-Platten und sind vom 10. März 1992. Alle Aufnahmen wurden mit Rotfiltern aufgenommen. Die Autoren geben vor, den Stern im Bild unten rechts noch undeutlich zu erkennen.

(Bild: ESO Online Digitized Sky Survey, gemeinfrei.)

Deren Bilder glichen die Astronomen noch einmal mit den POSS-I und POSS-II-Originalaufnahmen ab und fanden dort in der Hälfte der Fälle gar keinen Stern, entweder weil in den USNO-Katalog lediglich Rauschen eingegangen war oder weil die Position der Sterne im Katalog falsch erfasst worden war. Ein weiterer größerer Anteil fiel weg, weil auch die abgebildeten Sterne in den POSS-Aufnahmen zum Teil von den oben genannten Bildartefakten betroffen waren oder weil die Koordinaten in POSS und SDSS voneinander abwichen. Schließlich strichen sie noch einmal solche Sterne, von deren Himmelsareal es nicht mindestens vier Aufnahmen gab.

Am Ende blieb noch genau ein Kandidat übrig, der auf einer im roten Licht aufgenommenen POSS-I-Platte von 1950 eindeutig zu sehen war und auf der entsprechenden POSS-II-Platte von 1992 nur noch zu erahnen (meiner bescheidenen Ansicht nach ist er darauf gar nicht zu sehen, und ich habe mir die gescannte Aufnahme im FITS-Format vom ESO-Server heruntergeladen und mit dem Tool FITS-Viewer analysiert). Auf einer SDSS-Aufnahme, die deutlich schwächere Sterne zeigt, fehlt er dann definitiv komplett.

Auf der invertierten SDSS-Aufnahme (rechts: grüner Kasten aus dem linken Bild vergrößert) der gleichen Gegend sind viel schwächere Sterne zu sehen, aber definitiv nicht der Stern im Zentrum der POSS-I-Platte.

(Bild: SDSS, gemeinfrei)

Was kann ihm also zugestoßen sein? In einer Dyson-Sphäre verpackt worden ist er wohl nicht, wie die Autoren zugeben müssen, weil der Stern auch auf infraroten Platten nicht zu sehen ist. Ein Artefakt durch ein Staubkorn oder abgelöstes lichtempfindliches Material schließen sie aus, weil seine "Punktspreizfunktion" (PSF), die das Helligkeitsprofil einer vom Teleskop abgebildeten Punktlichtquelle beschreibt, sich nicht von den PSF anderer vergleichbar heller Sterne unterscheidet. Ein Kollaps zu einem Schwarzen Loch ist ebenfalls auszuschließen, weil man die Explosion nicht hätte übersehen können.

Realistischere Alternativen könnten sein:

  • Ein sogenannter "kataklysmischer Veränderlicher", besser bekannt unter dem Namen "Nova". Anders als bei einer Supernova explodiert dabei kein Stern, sondern ein weißer Zwerg sammelt Materie von einem engen Begleitstern auf, normalerweise einem zum Roten Riesen angeschwollenen ehemaligen Zwergstern, die nach einer Weile genug Druck und Temperatur entwickelt, sodass sie thermonuklear zündet. Dies macht den Stern für ein paar Tage um einen Faktor ca.10.000 heller, danach geht die Helligkeit wieder auf den normalen Wert zurück. Den Astronomen des Mittelalters erschienen sie dann gelegentlich als "neue Sterne" (lat. nova stella) am Himmel, daher der Name.
  • Ein veränderlicher Stern, der zufällig nur auf der POSS-I-Platte nahe dem Helligkeitsmaximum war. Es gibt eine Reihe von Veränderlichen, deren Leuchtkraft um einen Faktor 100 und mehr variieren kann, wie etwa Mira-Sterne oder R-Coronae-Borealis-Sterne, benannt nach ihren jeweiligen Prototypen am Himmel. Mira-Sterne pulsieren zyklisch, weil in ihrem Inneren unterhalb einer bestimmten Temperatur der Wasserstoff vom undurchsichtigen Plasma zum transparenten neutralen Gas wird und die Strahlung von innen somit viel leichter entkommen kann. Dadurch lässt der Strahlungsdruck nach und der Stern zieht sich zusammen, heizt sich auf und das Gas wird wieder zum Plasma, das die Strahlung zurückhält, was zur Expansion und Abkühlung des Sterns führt und das Spiel beginnt von vorne. Ein solcher Zyklus dauert bei den Miras normalerweise einige hundert bis tausend Tage.
    R-CrB-Sterne stoßen wiederum unregelmäßig große Mengen an Kohlenstoff aus, der bei Abkühlung zu Staubkörnern kondensiert und optisch so dicht werden kann, dass der Stern um den Faktor 100-1000 an Helligkeit verliert. Gelegentlich wurden diese Sterne auch als "umgekehrte Novae" bezeichnet.
  • Ein Flare, ein durch Magnetfelder des Sterns verursachter Helligkeitsausbruch. Auch die Sonne produziert gelegentlich im Rahmen ihrer ebenfalls magnetisch angetriebenen Aktivitätszyklen Flares, aber viele Rote Zwerge, die kleinsten unter den Fixsternen, zeigen wegen ihres tief umwälzenden Plasmas besonders starke magnetische Aktivität und können enorm an Helligkeit zulegen. Unser nächster Nachbarstern, Proxima Centauri, ist so einer, der trotz nur 4,2 Lichtjahren Entfernung um den Faktor 100 (5 Größenklassen) zu schwach für das bloße Auge ist. Im März 2016 produzierte er einen Superflare, der ihn kurzfristig fürs bloße Auge sichtbar machte. Zwar ist keine visuelle Sichtung bekannt, aber er wurde von einem automatischen Teleskop in flagranti erwischt.
  • Oder ein "hyperaktiver Galaxienkern", der einen vorübergehenden Aktivitätsschub erlebte. Dabei handelt es sich um supermassereiche Schwarze Löcher in fernen Galaxien, in die vorübergehend eine größere Menge Materie hineinfällt. Diese sammelt sich zunächst in einer Scheibe um das Schwarze Loch, wo sie sich stark aufheizt. Dadurch kann sie im Extremfall zu einem der hellsten Objekte des Universums werden, noch heller als eine Supernova, und die Aktivität kann über Monate oder Jahre anhalten, um dann wieder zu erlöschen. Die fernen Galaxienkerne sehen auf Fotoplatten wie Sterne aus. Nur ein Spektrum würde anhand von Rotverschiebung und hellen Emissionslinien Gewissheit geben, aber man hat keines vom verschwundenen Objekt und heute ist an seiner Stelle nichts mehr zu sehen, was sich spektroskopieren ließe.

Ein einziges Fundstück erschien den Autoren ein wenig mager. Da wegen der beschränkten Zahl von Objekten des SDSS-Katalogs nur 10 Millionen von rund einer Milliarde im USNO-Katalog verzeichneten Sternen untersucht worden waren, machten die Autoren unter Verstärkung von 19 Kollegen aus Schweden, Finnland, den USA, den Niederlanden, Indien, Spanien, der Ukraine und der Schweiz einen zweiten Anlauf mit Daten des neuen Pan-STARRS-Katalogs, der 2-3 Milliarden Sterne enthält. Ihr Beobachtungsprojekt nannten sie VASCO, was nicht nur der Name eines portugiesischen Entdeckers ist, sondern auch für "Vanishing & Appearing Sources during a Century of Observations" steht, immer noch mit dem erklärten Ziel, außergewöhnliche astronomische Ereignisse oder gar Aliens zu finden. Neben "gewöhnlichen" Ereignissen wie den oben genannten und weiteren Typen von veränderlichen Sternen oder Supernovae in anderen Galaxien haben sie "verschwindende oder auftauchende Sterne durch stellare Konstruktionstätigkeit" (stellar engineering), "Kommunikationslaser" und "Dyson-Tori um aktive Galaxienkerne" auf ihrer Suchliste.

Mit sehr viel Computerpower und ausgefeilten Algorithmen verglichen sie die Kataloge gemäß ähnlicher Kriterien wie in der früheren Arbeit. Diesmal wurden auch Sterne mit einer größeren Eigenbewegung in Betracht gezogen und das Suchfeld für Übereinstimmungen auf 30 Winkelsekunden vergrößert. Nördlich von -30° Breite fanden sie rund 150.000 USNO-Sterne, die im Pan-STARRS-Katalog fehlten.

Für diese suchten sie wieder nach SDSS-Fotoplatten zur visuellen Inspektion, und da SDSS nur ¼ des Himmels abdeckt, fanden sie solche für knapp 65.000 Sternkoordinaten. 23.667 unter diesen hatten in einer Nachbarschaftssuche keinen Stern innerhalb von 5×5 Winkelsekunden. Nachdem bei der visuellen Sichtung alle Artefakte entfernt wurden, verblieben 6359 leere Sternörter . Dann checkten sie diese Örter wieder visuell auf den ursprünglichen POSS-I-Platten gegen, aus denen der USNO-Katalog extrahiert worden war, und fanden 1691 Örter, an denen wirklich POSS-I-Sterne klar erkennbar waren, die jedoch auf den SDSS-Aufnahmen fehlten.