Embryonale Stammzellen: Wie ist der Stand nach 25 Jahren Hype?

Seite 4: Versuche weiter im Frühstadium

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Hinzu kommt: Die Herstellung von Stammzellen ist auch nicht billig. Ein einziges Gramm eines der beliebtesten Wachstumsfaktoren kostet 750.000 Dollar. Wenn man dann noch die regulatorischen Hürden hinzunimmt, mit denen jeder neue Ansatz konfrontiert ist, wird klar, warum die Arbeit der Biotechnologieunternehmen so unbeständig war. Die Firma Geron, die einst ein Patent auf bestimmte embryonale Stammzellen besaß und 2010 den ersten Test einer aus ihnen hergestellten Therapie am Menschen durchführte, brach ihre Studie ein Jahr später ab. Jetzt arbeitet das Unternehmen an Krebsmedikamenten und erwähnt embryonale Stammzellen auf seiner Website gar nicht mehr. Eine andere Stammzellfirma, Sana, hat seit seinem Börsengang im Jahr 2021 viel an Unternehmenswert verloren und im vergangenen Jahr sogar ein Team entlassen, das versucht hatte, Herzmuskelzellen zur Behandlung von Herzkrankheiten zu erzeugen.

Hohe Kosten und technische Schwierigkeiten sind in der Biotech-Welt nichts Ungewöhnliches. Außerdem gibt es immer noch eine widerstandsfähige Schar von Investoren und Wissenschaftlern, die glauben, dass Stammzelltherapien das Risiko wert sind. Heute sagen Stammzellenforscher, dass die steigende Zahl neuer klinischer Studien – etwa 15 werden jedes Jahr gestartet – ein Zeichen dafür ist, dass das Feld kurz vor einem Wendepunkt steht. Die Transplantation von im Labor hergestellten Netzhautzellen verbessert zwar noch nicht das Sehvermögen, aber Arbeiten an der ersten Handvoll Patienten zeigt, dass die Zellen etwas bewirken. Laut einer im vergangenen Jahr veröffentlichten Übersichtsstudie haben bislang mehr als 3000 Patienten in rund 90 Studien Transplantate aus induzierten oder embryonalen Stammzellen erhalten. Die Forschung ist aber erst am Anfang.

"Wenn man sich umschaut, befinden sich alle Versuche in einem frühen Stadium. Nicht alle werden wahrscheinlich zu Therapien führen, aber sie werden uns Informationen darüber liefern, wie wir die Dinge verbessern und verfeinern können", sagt Experte Pera. Bei den zu transplantierenden Zellen ist eine offene Frag, wie lange sie überleben werden. Das lässt sich nur am Menschen testen. Denn wenn dopaminproduzierende Neuronen in die Gehirne von Parkinson-Patienten implantiert werden, was schon einige Male versucht wurde, sterben die meisten dieser Neuronen ab. Manche Forscher mussten ganz von vorne beginnen.

Vielleicht muss man einfach die Dosis erhöhen. Doch zu viel Dopamin ist fast so schlimm wie zu wenig, es führt zu unwillkürlichen Bewegungen. Die Vertex-Studie zu Diabetes, in der 40 Personen behandelt werden sollen, sieht bislang vielversprechender aus – aber auch hier bleibt unklar, wie lange die Zellen im Körper überleben werden. Das bedeutet, dass eine sehr kostspielige Behandlung (vermutlich eine halbe Million Dollar) möglicherweise nicht ewig hält. Scripps-Forscherin Loring ist jedoch zuversichtlich, dass einer dieser Studien bald den unwiderlegbaren Beweis dafür liefert, dass aus embryonalen Stammzellen hergestellte Therapien Krankheiten heilen können. "Das könnte der Wendepunkt sein", sagt sie. Auf diesen Moment warte der Sektor.

Eine neue Studie sieht indes nach einem großen Durchbruch aus. Das Biotech-Unternehmens Neurona Therapeutics in San Francisco hat sogenannte hemmende Interneuronen geschaffen, die Menschen helfen sollen, deren hartnäckige Epilepsie auf herkömmliche Medikamente nicht ansprach. Die Hoffnung ist, dass diese zusätzlichen Zellen tief im Gehirn jeweils Tausende von Nervenverbindungen bilden und die schlecht funktionierenden Neuronennetze, die Anfälle verursachen, zum Schweigen bringen.