"Ice of Chernobyl": Doku zeigt das verstrahlte Gebiet vor dem Ukraine-Krieg

Seite 2: Wie erklären Sie sich die Faszination für diesen Ort?

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Das ist ja die Stadt Prypjat. Die Faszination, dass eine fast 40.000 fassende Stadt seit 35 Jahren unbewohnt ist. Und das Interessante dabei ist ja, dass es nicht eine Stadt ist, die geräumt wurde, sondern man hat den Bewohnern gesagt, dass sie in zwei oder drei Wochen wieder zurückkommen können. Das ist nur eine Vorsichtsmaßnahme, das heißt die haben ihr Köfferchen gepackt und haben ihr gesamtes Leben dort zurückgelassen. Da hing die Wäsche teilweise noch auf der Leine. Das ist, glaube ich, auch das Dystopische daran, dass da eine Stadt ist, die keine Einwohner mehr hat.

Wie haben Sie damals die Nachricht vom Reaktorunglück aufgefasst?

Ich war in Hamburg. Wir wussten das von Tschernobyl erst ein paar Tage später. Es kam dann die Meldung, dass in Schweden erhöhte radioaktive Werte gemessen wurden. Und dann sickerte das so langsam durch. Das war eine immense Verunsicherung. Wie ist das jetzt mit rausgehen und auf die Spielplätze? Und wir waren ja schon draußen. Das war schon sehr spooky und ein sehr ungutes Gefühl, weil du es ja nicht riechen, schmecken kannst.

Sie reichten "Ice of Chernobyl" bei der Oscar-Academy ein. Was wurde daraus?

Wir haben nach deren Standards die Einreichkriterien für die Oscars erfüllt. Am Ende entschied die Academy, dass wir circa einen Monat zu früh auf dem Streamingdienst gewesen wären. Zum Schluss sind wir dann doch nicht auf der Liste der ausgewählten Filme gelandet. Ich glaube, das Thema war nicht das, was die Amis bei den Oscars haben laufen lassen wollen.

Maryna Dymshyts, die bei "Ice of Chernobyl" Regie geführt hat, und einige im Film zu sehende Stalker leisten zurzeit auch in Tschernobyl erbitterten Widerstand gegen die russische Armee. Konnte Ihre Filmcrew überhaupt an der neuen Fassung, die demnächst auf YouTube zu sehen sein wird, mitwirken?

Maryna hat angefangen, daran zu arbeiten, aber es hat sich herausgestellt, dass es ein bisschen zu viel ist. Vor allen Dingen, weil sie permanent die Orte wechselt und mit an der Verteidigung von Kiew beteiligt ist, die ganzen Jungs mit Sachen auszustatten und Koordination zu machen. Und das alles bei permanenten Bombenangriffen. Sie hätte das ganz gerne eingesprochen, aber das geht momentan alles nicht. Ich habe ihr gesagt, sie solle sich um sich kümmern und um ihre Sicherheit. [seufzt] Da treffe ich auf taube Ohren, da ist sie viel zu patriotisch.

Was macht das eigentlich mit Ihnen?

Es besteht die große Wahrscheinlichkeit sie nicht mehr lebend wiederzusehen. Wenn ich nur daran denke, wird mir schlecht und mir laufen Tränen über das Gesicht. Sollten meine Freunde es womöglich nicht überleben, geht das Geld in ein Projekt für neue, junge Filmemachende in oder aus der Ukraine. Dann müssen die die Fackel weitertragen.

(mho)