Kanadas oberster IT-Polizist: Verhaftungen sind keine Lösung

Seite 2: Job-Drehtür als Vorteil

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Bei der Teamarbeit helfe auch das oft gescholtene Drehtürprinzip: "Nirgendwo auf der Welt kann die Polizei IT-Experten wettbewerbsfähige Gehälter zahlen", gesteht der oberste IT-Polizist Kanadas ein. Seine Mitarbeiter beim National Cybercrime Coordination Centre könnten in der Privatwirtschaft mehr verdienen: "Wir versuchen, Menschen zu finden, die durch die Mission motiviert sind, die die Leidenschaft haben, Kanadiern zu helfen." Und wenn die nach ein paar Jahren dann doch in die Privatwirtschaft wechseln, sei das kein Problem, sondern im Gegenteil von großem Vorteil.

"Wir stellen sie ein für ein paar Jahre, dann wechseln sie in die Privatwirtschaft für ein paar Jahre, dann kommen sie wieder zurück … Und der private Sektor sollte das genauso machen. So bekommt man Mitarbeiter mit unterschiedlichen Fähigkeiten und unterschiedlichen Erfahrungsschätzen." Diese Drehtür helfe dabei, den sektorübergreifenden Teamgeist aufzubauen. Außerdem reduziere sie Missverständnisse über Polizeiarbeit im digitalen Zeitalter, was nicht zuletzt mehr Anzeigen zeitige. Und erst die Anzeigen geben der Polizei überhaupt die Chance, das digitale Verbrechen zu bekämpfen.

Was nicht zur Teambildung gehört: Belohnungen für Mitglieder des organisierten digitalen Verbrechens, die die Seite wechseln. "Es gibt immer wieder Täter, die auspacken, aus verschiedenen Gründen. Aber wir zahlen keine Belohnungen dafür", stellt Lynam klar.

Apropos Geld: Den mit Abstand größten Schaden richtet in Kanada nicht Ransomware an, sondern Investitionsbetrug, wobei meistens Kryptowährungen eine Rolle spielt, kann der kanadische Betrugsbekämpfer berichten. Senioren sind eine bei Tätern besonders beliebte Zielgruppe.

Die RCMP versuche daher, Senioren anzusprechen, um sie zu warnen und Bewusstsein für aktuelle Betrugsmaschen zu schaffen. Dabei greift die Polizei, wenn möglich, auf die Hilfe freiwilliger Senioren zurück, die sogenannte Senior Support Unit. Diese, weiß Lynam, hätten einen ungleich besseren Draht zu ihren Alterskollegen, als junge, IT-affine Polizeibeamte.

"Wir haben viel Erfolg mit großen, internationalen Zugriffen", versichert Lynam. Etwa alle sechs Monate gelinge es, gemeinsam mit Partnerbehörden in anderen Ländern eine große Bande von IKT-Straftätern auszuheben.

Doch das reicht dem Polizisten nicht: "Wir müssen das monatlich tun. Dazu brauchen wir aber mehr Ressourcen". Derzeit hat das kanadische National Cybercrime Coordination Centre 80 Mitarbeiter, davon ganz bewusst die Hälfte Frauen. Hinzu kommen Studenten und temporäre Mitarbeiter aus der Privatwirtschaft, die an einem Austauschprogramm teilnehmen.

Helfen würde bessere Zusammenarbeit von Ermittlern über Grenzen hinweg. Kooperationen gibt es seit Jahren, speziell über Interpol. Kanada und andere Länder möchte die Zusammenarbeit beschleunigen. Das Europaratsübereinkommen über Computerkriminalität (Budapest Convention on Cybercrime) hat Kanada gleich zu Beginn 2001 ratifiziert, aber erst 2015 umgesetzt. Zum Vergleich: Deutschland setzte die Konvention 2009 um, Österreich und die Schweiz 2012, Liechtenstein 2016, die USA schon 2007. Irland und Südafrika, die 2001 respektive 2002 unterschrieben haben, sind bis heute säumig. Indien, Russland und Brasilien etwa beteiligen sich gar nicht.

Gegenwärtig sind Zusatzprotokolle zum Budapester Übereinkommen in Arbeit, wobei sich Lynam speziell von dem geplanten grenzüberschreitenden Quick Freeze Erfolge bei der Bekämpfung und Aufklärung von Straftaten erfolgt. In Zukunft sollen teilnehmende Polizeibehörden Netz- und Serverbetreiber in anderen teilnehmenden Ländern im Anlassfall rasch dazu verpflichten können, Daten zu sichern. Das verschafft den Ermittlern dann die notwendige Zeit, um über das internationale Rechtshilfeverfahren Zugriff auf diese Daten zu erhalten. Derzeit sind Daten nämlich oft nicht mehr vorhanden, wenn der Rechtsweg erfolgreich beschritten wurde.

(ds)