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Missing Link: China – Aus Tech-Unternehmen und Zulieferern werden Autohersteller

Timo Daum
Auto mit chinesischer-Flagge-Lackierung und Schukostecker in einem Einkaufswagen

(Bild: Tada Images/shutterstock.com)

Im Windschatten von BYD sind weitere branchenfremde chinesische Unternehmen dabei, in den E-Auto-Sektor vorzustoßen. Darunter Foxconn, Huawei und Xiaomi.

In den vergangenen Jahren machten immer wieder Gerüchte über ein bevorstehendes Elektroauto des kalifornischen Unternehmens Apple die Runde. Bislang ist davon aber nichts zu sehen.

Nun kommt ausgerechnet dasjenige Unternehmen Apple zuvor, das etwa 70 Prozent aller iPhones von Apple fertigt: Der taiwanische Auftragsfertiger Foxconn, der in erster Linie auf dem chinesischen Festland Fabriken unterhält.

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Die Foxconn Technology Group ist der weltweit größte Auftragshersteller für Elektronik. In Zhenghou, der Hauptstadt der zentralchinesischen Provinz Henan, steht auch die weltweit größte iPhone-Fabrik. Hier fanden im Jahr 2022 Arbeitsniederlegungen und gewalttätige Auseinandersetzungen statt, welche die Abwanderung zehntausender Mitarbeiter zur Folge hatten. Genau hier hat Foxconn ein neues Autounternehmen gegründet, die Foxconn New Energy Automobile Industry Development (Henan) Co., die den Einstieg des Unternehmens in die Automobilindustrie [2] markiert.

Zu den geplanten Aktivitäten des neuen Unternehmens zählen unter anderem die Herstellung und Entwicklung von Autokomponenten, die Motorenproduktion und der Vertrieb von "New-Energy"-Fahrzeugen (NEV), unter denen in China neben batterieelektrischen auch Hybrid-Fahrzeuge firmieren. Gleich drei Fahrzeuge, ein Fließheck, eine Limousine und einen Kleinbus stellte das Unternehmen 2021 der Öffentlichkeit vor [3].

Angesichts rückläufiger iPhone-Verkäufe in China ein plausibler Schritt. Denn Apple hatte seine Spitzenposition auf dem chinesischen Smartphone-Markt im dritten Quartal 2023 an Huawei abgeben müssen [4], unter anderem durch den großen Erfolg der Mate-60-Serie. Der Autoindustrieexperte und Professor an der IESE Business School in Barcelona, Marc Sachon, meint [5], "wenn Foxconn das schaffen kann, werden es etablierte OEMs extrem schwer haben, preislich zu konkurrieren". Kaum ein Unternehmen weltweit ist in der Lage, auf höchstem Qualitätsniveau zuverlässig und günstig komplexe Hi-Tech-Produkte zu fertigen.

Anders ausgedrückt: Wer ein iPhone bauen kann, für den dürften Elektroautos nicht allzu schwierig sein.

Foxconn steht nicht allein. Bereits 2021 hob Huawei, der weltweit größten Hersteller von Telekommunikationsgeräten, die Automobilmarke AITO (Adding Intelligence To Auto) aus der Taufe. Im gleichen Jahr dann die Vorstellung des AITO M5, eines elektrischen Crossover-SUV. Kürzlich folgten dann die Modelle AITO M7 und AITO M9, mit denen man sich zunächst auf dem Heimatmarkt China zu etablieren sucht. Für den Vertrieb kommen Huawei seine über 800 Showrooms in ganz China gelegen, die es für den Direktvertrieb nutzen kann. Diese werden derzeit so umgestaltet, dass dort auch Fahrzeuge präsentiert und verkauft werden können.

Laut Unternehmensangaben sind vom M5 bislang mehr als 120.000 Einheiten ausgeliefert worden. Für den M9, ein SUV der Luxusklasse, vermeldet das Unternehmen 54.000 Bestellungen seit Beginn des Vorverkaufs am 25. September 2023.

Huawei selbst baut die Fahrzeuge nicht, versucht aber zunehmend Schlüsselkomponenten für Elektrofahrzeuge zu liefern und sein Betriebssystem Harmony OS in diesen zu etablieren. Gebaut werden die Fahrzeuge von Seres [6] aus Chongquing, einer von über 200 – bei uns meist unbekannten – Autohersteller in China. Seres wurde ursprünglich im Silicon Valley etabliert und verfügt auch über eine Lizenz zum Testen von autonomen Fahrzeugen im US-Bundesstaat Kalifornien. Seit 2020 produziert es in seinem Werk in Liangjiang in der Provinz Chongqing den Seres SF 5.

Neu im Rennen ist auch Xiaomi, der 2010 gegründete drittgrößte chinesische Smartphone-Hersteller. Kürzlich stellte es seinen SU 7 vor [7], eine Luxuslimousine mit einer Reichweite von über 800 Kilometern. SU steht dabei für "Speed Ultra", dank innovativer Elektromotoren beschleunige das Modell schneller als die Konkurrenz von Tesla, so Xiaomi-CEO Lei Jun anlässlich der Vorstellung des Modells. In den kommenden Monaten wird mit der Testproduktion der Elektrolimousine gerechnet [8]. Im Frühjahr 2024 soll es auf den chinesischen Markt erhältlich sein.

Lei Jun will hoch hinaus: "Durch harte Arbeit in den nächsten 15 bis 20 Jahren werden wir einer der fünf größten Automobilhersteller der Welt werden und danach streben, die gesamte Automobilindustrie Chinas anzukurbeln" verkündete er, wie Reuters berichtete [9].

Dass solche Ziele nicht völlig aus der Luft gegriffen sind, meint der Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer: Er sieht durchaus die Möglichkeit, dass China in den nächsten Jahren zur dominierenden Autobaunation werden könnte. Denn die chinesischen Newcomer gingen den Autobau aus der Perspektive eines umfassenden digitalen Ökosystems an, wie er am 4. Februar 2024 in einem Interview mit dem Wall Street Journal erklärte.

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Der Soziologe Boy Lüthje, der die chinesische Autoindustrie seit Jahren untersucht, nennt diese Entwicklung, in der ehemalige Auftragsfertiger in die Rolle von OEMs (original equipment manufacturer, Originalausrüstungshersteller) aufsteigen "Foxconnisierung" [11]. Denn Foxconn habe sich innerhalb weniger Jahre zu einem "Key Player" in der chinesischen Automobilindustrie entwickelt.

Im Zuge dieser Entwicklung wird auch das gewohnte Kooperationsmodell in der chinesischen Autoindustrie – ausländische Hersteller gehen Joint Ventures mit lokalen Staatsbetrieben ein – in Frage gestellt. Westliches Management und staatliche Unternehmen werden verdrängt von ehemaligen Start-ups und Montagefirmen aus dem Telekommunikations- und IT-Sektor. Damit halten Lüthje zufolge auch Arbeits- und Produktionsbedingungen aus diesem Sektor Einzug in der Autoindustrie. Der Wissenschaftler spricht vom Einzug eines "high-performance"-Produktionsregimes, welches das eher gemächliche "corporate-bureaucratic"-Produktionsregime bei den chinesischen Staatsbetrieben ablöst.

BYD (Build Your Dreams) ist das Vorbild für die branchenfremden Newcomer. Denn auch das 1995 in Shenzhen gegründete Unternehmen begann als Zulieferer von Elektronikbauteilen. Es trat zunächst mit Batterien für Elektronikgeräte in Erscheinung und sattelte dann auf Lithium-Ionen-Akkus für Computer um. In dieser Zeit herrschte bei BYD – ganz ähnlich wie bei dem für seine lausigen Arbeitsbedingungen berüchtigten Foxconn – ein Regime der Billigproduktion mit tayloristischer Ausbeutung und kaum nennenswerter Innovation, wie Gründer Wang Chuanfu 2007 dem "China Entrepreneur Magazine" gegenüber offen zugestand.

Heute zählt das Unternehmen 630.000 Beschäftigte und ist im vergangenen Jahr zum größten Elektroautohersteller der Welt geworden. In China ist BYD, das nur Elektro- und Hybridfahrzeuge herstellt, zur meistverkauften Automarke des Landes geworden. Es ist auch der zweitgrößte Hersteller von Batterien für E-Autos, einzig übertroffen vom ebenfalls chinesischen Unternehmen CATL und noch vor LG aus Südkorea. Im Bereich batterieelektrischer Nutzfahrzeuge ist das Unternehmen schon länger Weltmarktführer. Dabei ist BYD noch vertikaler integriert als Tesla [12]: Von Lithium-Förderung bis zur Software beherrscht das Unternehmen die gesamte Wertschöpfungskette.

Im Jahr 2003 kaufte BYD den staatlichen Autohersteller Qinchuan Auto – in erster Linie, um dessen Lizenz für den Automobilbau zu erwerben. Erste Erfahrungen sammelte BYD mit seinem ersten elektrischen Kompaktwagen, dem E6. 2012 kauft die Shenzhener Stadtregierung einige Exemplare des Fahrzeugs als Taxis. Die Tests bewährten sich, woraufhin bis Ende 2018 die gesamte städtische Taxiflotte von 21.000 Fahrzeugen auf den E6 umgestellt wurde. Deren Dauereinsatz lieferte wertvolles Feedback für BYD.

Noch vor den Taxis stellte Shenzhen seine gut 16.000 Stadtbusse auf E-Modelle von BYD um; lokale und nationale Subventionen summierten sich auf gut 60 Prozent des Kaufpreises. Private Unternehmen und lokale Regierungen arbeiten in China oft eng zusammen bei der experimentellen Einführung neuer Technologien, die im Erfolgsfall dann schnell skaliert werden können.

Solche Erfolgsgeschichten sind aber nur möglich, weil China seit mindestens 2010 eine konsequente Elektrifizierungspolitik betreibt. Dabei ging es vor allem um die Smogprävention in den Megacities. Gleichzeitig entwickelten die Kommunistische Partei Chinas und die Staatsführung den strategischen Plan, eine konsequente Elektromotorisierung in ihrem Heimatmarkt umzusetzen, mit dem Nebeneffekt, dass die chinesische Automobilindustrie eine realistische Chance erhält, Technologie- und Marktführer in der weltweiten Automobilproduktion zu werden.

"Die Volksrepublik war schneller als jede andere Automobilnation dabei, die Revolution des Elektroantriebs konsequent voranzutreiben", bilanziert der Technologieexperte Keyu Jin. Der Erfolg beruhe auf einer "Kombination aus staatlicher Lenkung auf der Makroebene und Marktmechanismen auf der Mikroebene".1

Seit den Anfangstagen ist BYD eine Transformation vom tayloristischen Sweatshop zum innovationsgetriebenen High-Tech Unternehmen gelungen. Diese Entwicklung ist nicht untypisch für Chinas Industrie, denn seit den 2010er-Jahren erlebte der Sektor substanzielle Lohnsteigerungen und höheren Automatisierungsgrad – es fand eine generelle Abkehr vom Modell als "Werkbank der Welt" apostrophierten Reservoir billiger Arbeitskräfte statt.

Einer, der es wissen muss, ist Apple-Chef Tim Cook, bereits 2015 erklärte er [13]: "China ist seit vielen Jahren nicht mehr Niedriglohnland. Die Lieferketten-Perspektive ist nicht der Grund, nach China zu kommen. Der Grund liegt in der Art und Qualität der ausgebildeten Fachkräfte." Heute beschäftige der Konzern mehr als 90.000 Entwickler, bei BYD werden im Jahr 2024 30.000 Universitätsabsolventen im Unternehmen anfangen – 80 Prozent davon im Bereich Forschung und Entwicklung. Firmenchef Wang gegenüber der Neuen Züricher Zeitung: "An einem durchschnittlichen Arbeitstag reicht BYD 19 Patentanträge ein."

Ähnliches passiert auch in Deutschland durch den Auftritt Teslas im brandenburgischen Grünheide, wo ebenfalls ein digital-industrielles Unternehmen den gewohnten Korporatismus in der deutschen Autoindustrie vor Herausforderungen stellt. Bei Tesla wird ganz anders gearbeitet und gemanaged als bei Volkswagen, die IG Metall zum Beispiel hat – noch – in Grünheide nicht viel zu melden [14].

Nächste Woche geht es um den Fortschritt beim "going global" der neuen Hersteller, wobei nicht nur Europa als Absatzmarkt angepeilt wird, sondern auch die Elektrifizierung des Globalen Südens.

Quellen

1 Keyu Jin, The New China Playbook: Beyond Socialism and Capitalism. New York: Viking, 2023, S. 23.
Lüthje, Boy., Wu, D. and Zhao, W. (2023) ‘China’s auto industry: regimes of production and industrial policy in the age of electric cars’, Int. J. Automotive Technology and Management, Vol. 23, No. 1, pp.80–98.

(bme [15])


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[3] https://www.heise.de/news/Einstieg-in-E-Auto-Produktion-Foxconn-stellt-Limousine-SUV-und-Bus-vor-6221256.html
[4] https://www.heise.de/news/Analysten-iPhone-15-kurbelt-Smartphone-Branche-wieder-an-9540653.html
[5] https://www.wired.com/story/foxconn-apple-car-china/
[6] https://www.heise.de/hintergrund/Wandel-willkommen-Chinesische-Elektroautos-auf-der-Shanghai-Auto-Show-6023334.html
[7] https://www.heise.de/news/Elektroauto-Xiaomi-SU7-Auf-Anhieb-einer-der-Schnellsten-9583558.html
[8] https://www.scmp.com/business/china-business/article/3246414/huawei-and-xiaomi-launch-new-ev-models-china-reigniting-worries-about-price-wars-worlds-largest-ev
[9] https://www.reuters.com/business/autos-transportation/china-smartphone-maker-xiaomi-unveils-first-electric-vehicle-2023-12-28/
[10] https://www.heise.de/Datenschutzerklaerung-der-Heise-Medien-GmbH-Co-KG-4860.html
[11] https://ideas.repec.org/a/ids/ijatma/v23y2023i1p80-98.html
[12] https://www.heise.de/thema/Tesla
[13] https://www.cbsnews.com/news/60-minutes-apple-tim-cook-charlie-rose
[14] https://www.heise.de/news/Tesla-Betriebsrat-gegen-Tarifbindung-Buergervotum-zur-Erweiterung-in-Gruenheide-9589645.html
[15] mailto:bme@heise.de