Tödliche "Craft Hacks": Wie eine YouTube-Bäckerin gegen gefährliche Memes kämpft

Seite 2: Enttarnte Backhacks

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Reardon hatte zum ersten Mal ein Jahr zuvor von 5-Minute Crafts erfahren, als ihre Zuschauerzahlen im Zuge einer Algorithmusänderung bei YouTube stark zurückgingen. Beliebte YouTuber bekommen bei dem Unternehmen oft einen "Partnermanager" zugewiesen, der ihnen persönliche Unterstützung bietet; Reardon wandte sich also an ihren "Partnermanager", um ihre Besorgnis über ihre rückläufigen Zahlen zum Ausdruck zu bringen.

"Er schlug vor, sich einige der Kanäle anzusehen, die unter dem neuen Algorithmus gut liefen", sagt Reardon, "und da wurde mir klar: Moment mal, einige dieser Rezepte kannst du nicht machen. Das sind keine echten Rezepte, das sind Fälschungen". Im Dezember 2018 lud Reardon ein Video hoch, in dem sie Backhacks des Food-Hack-Kanals "So Yummy" testete und bewies, dass man entgegen den Behauptungen des Kanals weder Eis und Zucker zu Kuchenglasur schlagen noch Gummibärchen zu Gelee schmelzen kann. Im Juli 2019 kritisierte sie den YouTube-Kanal "Blossom" für die Veröffentlichung ähnlicher Falschinformationen.

"Ich habe Kommentare von jungen Kindern bekommen, die sagten: 'Ich dachte, ich könnte nicht kochen. Ich habe dieses Video ausprobiert und es hat nicht funktioniert'". Und dann gab es auch noch Ärger wegen verschwendeter Zutaten, so Reardon. Sie beschloss, ihren Bachelor-Abschluss in Lebensmittelwissenschaften und ihren Postgraduierten-Abschluss in Diätetik zu nutzen, um weitere Clips zu entlarven – aber sie erkannte schnell, dass viele Hacks nicht nur falsch, sondern sogar gefährlich waren.

Im Mai 2019 veröffentlichte Reardon ein Video über 5-Minute Crafts. Sie staunte über einen Schauspieler, der Heißkleber auf eine Zahnbürste aufträgt – und testete ein Rezept für "körniges" Aktivkohleeis. Einen großen Teil des Videos widmete sie einem Clip, in dem Erdbeeren mit Bleichmittel versetzt wurden. "Wenn einige Kinder das zu Hause machen und diese weißen Erdbeeren dann essen, werden sie sich vergiften", sagte sie, bevor sie ihre Zuschauer aufforderte, das Video zu melden (der Clip wurde inzwischen aus dem 5-Minute Crafts-Kanal entfernt).

Blossom und So Yummy reagierten auf die Bitte um eine Stellungnahme nicht. MIT Technology Review schickte TheSoul Publishing, dem Unternehmen hinter 5-Minute Crafts, eine Liste der problematischen Videos auf dem Kanal, darunter eine Anleitung, wie man mit einer elektrischen Bohrmaschine geschmolzenen Zucker in Zuckerwatte verwandelt, eine Anleitung, wie man aus einer aufgeschnittenen Getränkedose und einem Feuerzeug eine Klebepistole herstellt, und ein Video, in dem eine mysteriöse Hand ein antibakterielles Gel anzündet, bevor sie mit den Fingern hindurchstreicht.

Patrik Wilkens, VP of Operations bei TheSoul Publishing, meint, das Unternehmen produziere "unterhaltsame, positive und originelle Inhalte, die nicht als Quelle von Fakten gedacht sind, sondern eher der Unterhaltung dienen". Von YouTube hieß es, dass man die von MIT Technology Review genannten 5-Minute-Craft-Videos überprüfen werde.

Eine Warnung in der Beschreibung jedes 5-Minute-Crafts-Uploads lautet: "Das folgende Video zeigt möglicherweise Aktivitäten, die von unseren Schauspielern in einer kontrollierten Umgebung durchgeführt wurden." Man solle vorsichtig sein, wenn man das nachmachen wolle.

Manager Wilkens behauptet, dass TheSoul Publishing über ein "Team zur Qualitätssicherung" verfügt, das jedes Video während der Produktion überprüft. Man halte sich an die Richtlinien der Plattformen, auf denen die Videos erscheinen. Er fügte hinzu: "Darüber hinaus überwachen wir täglich das Feedback von Zuschauern und Partnern und nehmen es auf, um notwendige Änderungen und Verbesserungen vorzunehmen."

Am 5. September 2019 starb ein chinesischer Teenager, nachdem er Berichten zufolge versucht hatte, ein virales Craft-Hack-Video zu kopieren. Das von der Koch-Influencerin Ms Yeah hochgeladene Video zeigte den Zuschauern, wie man Popcorn in einer über einer Alkohollampe platzierten Getränkedose zubereitet. Die Familie einer 14-Jährigen, die nur als "Zhezhe" identifiziert wurde, sagte, dass sie und ihre 12-jährige Freundin Xiaoyu versucht hätten, die Anweisungen des Videos zu befolgen, als die Dose explodierte. Beide Mädchen erlitten schwere Verbrennungen, Zhezhe starb an ihren Verletzungen.

Frau Yeah, die mit bürgerlichem Namen Zhou Xiao Hui heißt, zahlte den Familien eine ungenannte Entschädigung, bestritt aber, dass die Mädchen ihr Video kopiert hätten, da sie angeblich Alkohol direkt in zwei Dosen erhitzt hatten. "Ich habe nur eine Blechdose und eine Alkohollampe verwendet, was sicherer ist", schrieb sie auf Weibo. Sie fügte hinzu, dass ihre Videos nicht als Lehrvideos gedacht sind. Der YouTube-Kanal Ms Yeah hat 11,7 Millionen Abonnenten, die Zhou beim Kochen zusehen – oft auf ungewöhnliche Weise mit Gerätschaften aus ihrem Büro. Sie hat schon Fleisch auf einem Aktenschrank gegrillt, Zuckerwatte auf einer elektrischen Bohrmaschine gesponnen und Essen in einer mit Öl gefüllten Kaffeekanne gebraten. Frau Yeah reagierte nicht auf eine Bitte um Stellungnahme.