"Grünes EU-Label" für Atomkraft: Bundesamt sieht mangelhafte Einschätzung

Das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung sieht die Grundlage der Bewertung der Atomkraft durch die EU-Kommission als stark unzulänglich an.

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Das Bundesamt sieht viele Probleme in dem Vorschlag der EU-Kommission, zum Beispiel das der Endlagerung hochradioaktiver Abfälle. Im Bild zu sehen sind Castoren in Gorleben.

(Bild: BASE)

Lesezeit: 5 Min.

Das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) lässt kein gutes Haar an dem Vorschlag der EU-Kommission für eine Taxonomie-Verordnung. "Aus fachlicher Sicht ist die Einordnung von Atomkraft als nachhaltige Form der Energieerzeugung nicht haltbar", erklärte BASE-Präsident Wolfram König. "Die Atomenergie ist eine Hochrisikotechnologie, erzeugt Abfälle und birgt die Gefahr des Missbrauchs von radioaktivem Material für terroristische und kriegerische Zwecke."

Das BASE hatte bereits im Juni vorigen Jahres einen Bericht des Joint Research Centres (JRC) der EU zur Atomkraft analysiert, auf dem die Entscheidung der EU-Kommission basiert, in der Taxonomie auch die Atomkraft zu berücksichtigen. Das Bundesamt war zu dem Schluss gekommen, dass der Bericht des JRC die Auswirkungen der Nutzung von Atomenergie unvollständig, methodisch unzulänglich und in stark vereinfachender Weise darstellt. Nun setzten sich diese Mängel im Vorschlag der EU-Kommission vom Silvesterabend fort.

Besonders sei aus fachlicher Sicht zu bemängeln, dass das aktuelle sicherheitstechnische Regelwerk schwere Unfälle möglichst vermeiden soll, sie jedoch nie ausschließen könne. Durch Unfällen in AKW könne es zu erheblichen, grenzüberschreitenden Umweltauswirkungen kommen, insbesondere wenn radioaktive Stoffe freigesetzt würden. Leben und Gesundheit in der EU könnten unmittelbar großflächig gefährdet werden. Wenn die Kommission den Kraftwerksbetrieb als nachhaltig ansehe, fördere sie indirekt auch den Abbau von Uran als fossilem Brennstoff und damit eine nicht nachhaltige und mit erheblichen Umweltrisiken verbundenen Tätigkeit, schreibt das BASE weiter in seiner Stellungnahme (PDF).

Atomkraftwerke, die oft für eine Betriebsdauer von 30 bis 40 Jahren konzipiert waren, müssten nachgerüstet werden. Das sei wegen der baulichen Gegebenheiten aber nur begrenzt möglich. Zudem alterten und versprödeten Materialien, die so ihr Verhalten über den ursprünglichen Auslegungszeitraum hinaus verändern könnten. Daher sei es fraglich, in welchem Umfang existierende Anlagen ein regelmäßig weiterentwickeltes Sicherheitsniveau überhaupt noch erreichen können.

Das BASE wendet außerdem ein, dass in viele EU-Staaten die Betreiberhaftung stark limitiert sei. Die Haftungssummen würden für schwere Unfälle mit erheblichem Austritt von Radioaktivität nicht ausreichen, damit sei das Verursacherprinzip verletzt.

Für das BASE ist fachlich nicht nachvollziehbar, warum "fortschrittliche Technologien" in der Taxonomie berücksichtigt werden sollen; gemeint sind gasgekühlte schnelle Reaktoren, bleigekühlte schnelle Reaktoren, Salzschmelzreaktoren, natriumgekühlte schnelle Reaktoren, überkritische Leichtwasserreaktoren und Höchsttemperaturreaktoren. Einige der international diskutierten Reaktortypen basierten auf seit Jahrzehnten bekannten Prinzipien, die sich wegen sicherheitstechnischer oder aus kommerziellen Gründen nie hätten durchsetzen können. Andere seien Konzeptstudien, die bisher nie großtechnisch erprobt wurden und daher aus sicherheitstechnischer Sicht heute nicht abschließend bewertbar seien. Dem BASE sei zudem kein einziger Konzeptvorschlag neuer Reaktorlinien bekannt, der ein tiefengeologisches Endlager überflüssig machen würde.

Die Abfälle einiger neuartiger Reaktorlinien würden sogar neue Probleme bei der Entsorgung schaffen. Insgesamt sei die Frage der Entsorgung hochradioaktiver Abfälle 70 Jahre nach Einführung der Technik weltweit ungelöst. Es müssen tiefengeologische Endlager gebaut, betrieben und verschlossen werden, die einen sicheren Einschluss der radiotoxischen Abfälle für hunderttausende Jahre sicherstellen müssen.

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Einige ausgewählte Staaten hätten ihre Planungen für erste Endlager in den vergangenen Jahren konkretisiert. Es existierten bisher aber noch keine empirischen Betriebserfahrungen für diese Endlager. Selbst im Falle der Inbetriebnahme erster Endlager für hochradioaktive Abfälle seien die standort- und konzeptspezifischen Charakteristika so komplex, dass von ersten Projekten nur schwer auf die Sicherheit anderer nationaler Endlagerprojekte geschlossen werden könne.

Zudem wendet das BASE ein, dass die zivile Nutzung der Atomenergie technologisch nicht vollständig von der militärischen Nutzung entkoppelt werden könne. "Das komplexe internationale Sicherungsregime zur Verhinderung von nuklearer Proliferation hat in der Vergangenheit bereits nachweislich versagt", heißt es in der Stellungnahme. Das Risiko missbräuchlicher Verwendung könne insbesondere mit der Förderung "fortschrittlicher Technologien" deutlich steigen.

In ihrem Vorschlag für eine Taxonomie-Verordnung stuft die EU-Kommission den Bau neuer, bis 2045 genehmigter Atomkraftwerke sowie die Laufzeitverlängerung alter Kraftwerke als nachhaltige Wirtschaftstätigkeit ein. Auch sollen Forschungs- und Entwicklungsprojekte zu "fortschrittlichen Technologien" eingeschlossen werden. Als Bedingungen stellt die EU-Kommission, dass international geltendes Sicherheitsregelwerk eingehalten, ein Fonds für die Finanzierung der Entsorgung eingerichtet und Pläne für den Betrieb eines Endlagers für hochradioaktive Abfälle ab 2050 vorliegen sollen.

Im November 2011 hatte BASE-Leiter Wolfram König bereits eingewandt, die Begünstigung der Atomkraft könne dazu führen, dass weniger Geld in die Erneuerbaren Energien fließt. Bundesumweltminister Steffi Lemke hat bereits ein "klares Nein" zur Atomkraft angekündigt, eine Stellungnahme der Bundesregierung soll in Kürze an die EU-Kommission gehen.

Zum Thema Taxonomie-Verordnung:

(anw)