Testfahrt im Wasserstoffzug: Siemens zeigt seinen Mireo Plus H

Seite 2: Die Antriebsleistung kommt aus den Akkus

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Denn eigentlich ist der Zug ziemlich leistungsfähig. Die Antriebsleistung des Zuges beträgt 1.700 Kilowatt in der Spitze, die insbesondere bei Beschleunigung des Zuges abgerufen werden können. Die Energie kommt allerdings nicht direkt aus der Brennstoffzelle. Der Mireo Plus H hat pro Wagenteil eine Brennstoffzelle mit jeweils 200 Kilowatt. Die Brennstoffzelle betreibt daher nicht direkt die Antriebsleistung, sondern versorgt laut Siemens kontinuierlich den Akku mit Strom. Alstoms iLint arbeitet ebenfalls mit Batterieunterstützung bei der Beschleunigung.

Wie groß der Akku ist, wollte Siemens auf Nachfrage von heise online nicht beantworten, den Wert will man noch geheim halten. Zu anderen Daten war man offener. Mit den 1.700 Kilowatt, die vom Akku in die beiden angetriebenen Drehgestelle vorn und hinten gehen, kann der 93 Tonnen wiegende Zug mit maximal 1,1 m/s2 beschleunigen. Das ist für einen Regionalzug auf einer Dieselstrecke äußerst sprintstark und fast auf dem Niveau einer U-Bahn und wenigen S-Bahn-Baureihen.

Zum Vergleich: Ein 115 Meter langer und 185 Tonnen schwerer U-Bahnzug in München der Baureihe C2 hat eine Antriebsleistung von 3.360 Kilowatt und schafft 1,3 m/s2.

Mit der Antriebsleistung hält der Wasserstoffzug andere Züge nicht auf. Der Mischverkehr zwischen Diesel- und Elektrofahrzeugen ist aufgrund sehr unterschiedlicher Leistungswerte oft problematisch. Das ist auch ein Vorteil des Mireo Plus H verglichen mit dem Coradia iLint (PDF-Datenblatt)

Die Höchstgeschwindigkeit der Garnitur liegt bei 140 km/h. Die Deutsche Bahn spricht in ihrer Pressemitteilung zwar von 160 km/h, doch dafür fehlt dem Mireo Plus H eine dritte Magnetschienenbremse. Eine Geschwindigkeit von 140 km/h ist für den typischen Einsatzzweck allerdings ausreichend. Denn Strecken, auf denen mit Dieseltriebwagen gefahren wird, werden selten mit 160 km/h befahren. Das ist eher typisch für elektrifizierte Strecken, auf denen – geeignete Zugsicherungssysteme vorausgesetzt – auch noch schneller gefahren werden kann.

Details nannte Siemens auch zur Betankung, die mit Hilfe einer mobilen Tankstelle der Deutschen Bahn demonstriert wurde. Dem Testring fehlt eine entsprechende Tankstelle noch. Für die Betankung des Zuges hat jeder Teil des Triebzuges eigene Tankstutzen auf beiden Seiten des Zuges.

Die Erstbetankung dauert insgesamt 15 Minuten und soll damit vergleichbar mit der Betankung eines Dieseltriebzugs sein. Die Zugteile selbst sind nur elektrisch miteinander verbunden. Eine entsprechende Leitung für den Wasserstoff zwischen den Zugteilen gibt es noch nicht, so Siemens. Dementsprechend muss jeder Zugteil betankt werden.

Die Infrastruktur ist denn auch der größte Nachteil des Systems. Tankstellen müssen erst gebaut und der Wasserstoff idealerweise mit erneuerbaren Energien erzeugt werden, sollte er nicht als Nebenprodukt anfallen.

Mit insgesamt 160 Kilogramm Wasserstoff erreicht der Zug eine Reichweite von maximal 800 Kilometern. Das entspricht laut Siemens etwa 0,2 Kilogramm je Kilometer. Wer nun nachrechnet, der merkt, dass hier etwas nicht stimmt. Zwei Faktoren spielen bei der Reichweite eine weitere Rolle. Zum einen können laut Siemens nur 140 bis 150 Kilogramm effektiv genutzt werden, ein gewisser Grunddruck im Tank ist weiterhin nötig, und zum anderen ist die Rekuperation hier nicht eingerechnet. Auf Rekuperation war Siemens bei der Veranstaltung besonders stolz, da man davon ausgeht, dass ein sehr hoher Teil der Bremsenergie aufgefangen werden kann. Siemens sprach von 2.000 Kilowatt, die in den Akku zurückgespeist werden können.

Verglichen mit dem Coradia iLint ist das ungefähr dieselbe Reichweite. Alstom will aber – passend zur kommenden Innotrans in Berlin – am 15. September eine Rekordfahrt durchführen, um eine höhere Reichweite zu demonstrieren.

Im Innenraum ist von der besonderen Ausstattung fast nichts erkennbar. Der Zug sieht wie ein normaler, moderner Regionalzug aus. Die Ausrüstung ist augenscheinlich zudem komplett, bis hin zu speziellen Scheiben, die auch Funksignale durchlassen. Einzige technische Auffälligkeit in den ansonsten laut Siemens technisch identischen Fahrzeugteilen ist der Technikraum mit dem Tanksystem, der hinter dem Universal-WC positioniert ist. Dieser dürfte ungefähr drei Sitzplätze kosten.

Der Zug selbst bietet 120 Sitzplätze und soll seinen Fahrgästen auch WLAN bieten. Ein Multifunktionsabteil gibt es in beiden Zughälften. Aufgrund der niedrigen Einstiegshöhe ist der Zug nicht vollständig barrierefrei. Die vorgestellte Variante ist mit 600 Millimetern Einstiegshöhe konzipiert.

Zu den Plätzen über den Drehgestellen muss eine Treppe überwunden werden. Zudem ist das Universal-WC nur auf einer Fahrzeugseite barrierefrei erreichbar, da der Raum über dem Jakobsdrehgestell, also der Wagenübergang, ebenfalls höher liegt. Laut Siemens kann der Zug auch mit höherem Einstieg (800 mm und damit stufenlos an typischen 760-mm-Bahnsteigen) geordert werden, sofern die Bahnsteige entsprechend tauglich sind. Der Wagenübergang ist dann allerdings auch nicht stufenlos, sodass mobilitätseingeschränkte Personen in den richtigen Zugteil einsteigen müssen.

Das ist allerdings ein allgemeines Problem im Regionalverkehr. Die Bahnsteige sind niedriger als etwa bei weitestgehend separaten S-Bahn-Systemen wie Berlin, Hamburg und München (960 mm Bahnsteighöhe). Damit bleibt im Regionalverkehr weniger Platz unter den Wagen für die technische Ausrüstung, insbesondere, wenn die Achsen angetrieben sind. Lokbespannte Züge, wie der kommende ICE L, haben hier Vorteile, müssen allerdings Kompromisse eingehen.

(tiw)