Test Alfa Romeo Giulia 2.0 Q4 Competizione - Alfachronismus

Seite 2: Test Alfa Romeo Giulia 2.0 Q4 Competizione: Fahrwerk und Fazit

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In einem BMW mit Sportfahrwerk plus adaptiver Dämpfung hat man stattdessen immer das Gefühl auf einer besseren Straße zu fahren, als man es eigentlich tut. Im Vergleich wirkt der BMW härter, aber die Straße vergleichsweise topfeben. Der Alfa bietet nicht das faszinierende Erlebnis des BMW, der einem bretthart vorkommt, aber beim Auffahren auf einen Randstein - “welcher Randstein?” - diesen einfach komplett wegfiltert und verschwinden lässt. Der BMW vermittelt im Vergleich nicht ganz die Freude an der Tektonik und Geographie - “ah, diese Kurve hängt etwas mehr nach links und ja, hier ist der Asphalt etwas brüchiger - wie schön!” Wobei wir uns hier zu den feinsinnigsten Nuancen des Automobilismus versteigen, das Gros sämtlicher Autofahrer wird Fahrverhalten und Schnellfahrkomfort sowohl im Dreier als auch in der Giulia schlicht als perfekt empfinden. Im BMW braucht es dafür aber adaptive Dämpfer. Im Alfa wurden sie bisher so wenig vermisst, dass sie kurzerhand aus der Preisliste flogen. Sie sind in Zukunft dem Topmodell Quadrifoglio vorbehalten.

Ein ernsthaftes Wort muss man angesichts der Trinksitten der Giulia verlieren. Klar, sie regt sehr zu flotter Fahrweise an, die wir im Test auch ausgiebig genossen. Aber unter 10 Liter auf 100 km zu verbrauchen ist mit der Giulia schwierig. Das ist ein unschöner Anachronismus. Mit einem BMW 330i sind bei gleicher Fahrweise ein bis zwei Liter weniger drin. Die Sportlimousine Giulia ist optisch wie fahrdynamisch die beste Möglichkeit, Alfa zu fahren. Die Fahrdynamik hält, was die sehnigen Proportionen versprechen. Wer die Giulia probiert, will sich auf den Stelvio nur noch widerwillig einlassen. Das SUV auf Giulia-Basis fährt für einen hochgebockten Familiencruiser mit Kombiheck zwar ausgesprochen leichtfüßig. 75 kg Mehrgewicht und höherer Schwerpunkt sind aber deutlich spürbar. Weniger spürbar als gedacht sind hingegen die Praxisvorteile des SUV. Selten sind die Momente, wo man dank der coupéhaft eingezogenen Heckklappe ein Ladegut unterbekommt, das in die Limousine nicht passt. Im Vergleich macht die Limousine ihre Sache besser und der SUV seine Sache schlechter als vermutet.

In der Giulia konnte ich den Rollator meiner Mutter ohne Probleme unterbringen, ohne einen Teil der sehr variablen Rücksitzlehne umklappen zu müssen. Zwei Personen sitzen im Heck der Giulia sehr bequem. Drei Erwachsenen sind nicht allzu lange Strecken auch gut zumutbar. Insgesamt sitzt man in der Giulia hinten besser als im BMW 3er oder X3, denn die Rückbank ist deutlich großzügiger ausgeformt und der Knieraum ist etwas luftiger. Der Stelvio bietet hier keine Vorteile. Dass sich das SUV trotzdem im Faktor X mehr verkauft, kann sich der Autor nur mit einer Abstumpfung des Automobilismus erklären. Vermutlich ist er aber nur ein unverbesserlicher Anachronist bzw. Alfachronist.

Alfa Romeo Giulia 2.0 Q4 Competizione außen (7 Bilder)

Die Giulia spielt auf 4,65 m Länge perfekt das Thema Sportlimousine und zeigt, dass 4-türige Coupés nur etwas für Kleingeister sind. Die Competizione-Version gab es nur zur Promotion des Facelifts – als Veloce lässt sie sich aber genau so auch konfigurieren.
(Bild: alle Florian Pillau)

Die Giulia ist für das Paket nicht billig. In der Version Veloce mit der Ausstattung des Testwagens kommt sie auf einen Listenpreis von gut 66.000 Euro. Ein vergleichbar augestatteter BMW 330i kostet mit 35 PS und einer Antriebsachse weniger laut Liste ziemlich genau 4000 Euro mehr. Für den Allradantrieb xDrive verlangt BMW noch einmal 2500 Euro zusätzlich. Nicht verschwiegen werden darf aber, dass beim BMW in diesem Preis das Live Cockpit Professional mit einer unvergleich höheren Qualität und Ausstattungsfülle des Infotainments inklusive Head-up-Display inbegriffen ist.

Ob man den BMW oder den Alfa nehmen sollte, war in der Redaktion schnell entschieden. Wir hatten unabhängig voneinander die Idee, bei Alfa Romeo nachzufragen, ob und zu welchem Preis man die vulkanschwarze Test-Giulia aus dem Testpool herauskaufen könne. Die Sportlimousine lebt in der Giulia unvergleich und hinreissend weiter. Als solches ist sie die ästhetischere und praktischere Alternative zu sämtlichen zwei- oder viertürigen Coupés. Klar, es ist ein Anachronismus, heute noch einen durstigen Benziner, noch dazu ganz ohne Hybridisierung, zu kaufen. Doch denken Sie an ein Downsizing ohne großen Spaßverlust und nutzen Sie zum Genussfahren diesen vergleichsweise günstigen, praktischen Alfa statt deutlich teurere Fahrzeuge mit sechs oder acht Zylindern.

(chlo)